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Abstimmung zur Migrationspolitik im Bundestag (Politik)

Ulrich, Sonntag, 02.02.2025, 10:48 (vor 317 Tagen) @ Sascha

Ich bin jetzt auf einen Artikel beim Stern gestoßen, der die internen Abläufe innerhalb der Unionsführung bis einschließlich dem letzten Donnerstag beleuchtet. Online findet man das ganze leider nur hinter der Paywall.

https://www.stern.de/politik/deutschland/wie-friedrich-merz-die-cdu-zu-seinem-afd-kurs-draengte-35427430.html

Am Mittwochabend der vorletzten Woche, dem Tag der Mordtaten, besprach sich Friedrich Merz mit seinem engsten Führungszirkel. Dabei waren u.a. Carsten Linnemann und Alexander Dobrindt. Man kam zum Schluss, dass die Taten von Aschaffenburg im Wahlkampf alles ändern würde. Man müsse weg von der Wirtschaftspolitik und eine harte Asylpolitik zum Thema machen. Vor allem Alexander Dobrindt gab an dem Abend die Richtung vor. U.a. hatte man die Befürchtung, sonst würde die AfD gewinnen. Zudem spielten laut Stern die Bilder aus den USA eine Rolle. Dort hatte Donald Trump an seinem ersten Tag als Präsident eine Reihe von Dekreten unterzeichnet und so Tatkraft demonstriert. Auch daran wollte man sich orientieren. Es entstand die Idee, „fünf harte Punkte für eine echte Asylwende vorzulegen, um Druck auf Olaf Scholz auszuüben“. Friedrich Merz solle das Signal aussenden: „Ich werde am Tag eins den Schalter in der Migrationspolitik umlegen“. An dem Abend hat Merz sich laut Stern noch Bedenkzeit ausgebeten. In der Nacht zum Donnerstag der vorletzten Woche hat sich Merz dann entschieden, mit dem Dobrindt-Plan an die Öffentlichkeit zu gehen, „mehr Abschiebungen, mehr Ausreisehaft und dauerhafte Grenzkontrollen an Tag eins seiner Kanzlerschaft – notfalls per Richtlinienkompetenz“.

An diesem Donnerstag stellte Merz dann diesen Plan im Reichstag vor. Nachfragen von Journalisten wurden nicht zugelassen. Von der Parteibasis erhielt Merz in den Stunden danach euphorische Zuschriften, etc., das gab ihm noch einmal Rückenwind.

In einer Videoschalte des CDU-Vorstands am Abend gab es ganz überwiegend Zustimmung, aber auch einige kritische Anmerkungen zur Umsetzbarkeit. Merz wirkte laut Stern wie unter Strom, er sprach von einem „game changer“ und davon, dass er „all in“ gehen wolle. Laut ihm leide die Union unter einem Glaubwürdigkeitdefizit in der Migrationsfrage, deshalb brauche es den Antrag im Bundestag. „Und wenn die AfD mitstimmt, dann stimmt sie eben mit.“ Das stand im klaren Gegensatz zu den Aussagen von Merz aus dem November, im Bundestag nie auf eine „Zufallsmehrheit“ setzen zu wollen.

Die Tragweite der Richtungsänderung war laut Stern zu dem Zeitpunkt den meisten Teilnehmern nicht klar. Hinzu kam eine irreführende Aussage des Fraktionsmanagers Thorsten Frei. „Für eine solch spontane Initiative brauche man eine Zweidrittelmehrheit.“

Am Freitag machte dann eine SMS in der CDU, im Bundestag und unter Journalisten die Runde, von der niemand wusste, von wem sie konkret stammte. Darin wurde angekündigt, dass die CDU-/CSU-Bundstagsfraktion „ohne Rücksicht“ (auf die AfD) „in der Sache sehr klare“ Anträge in den Bundestag einbringen. „Das gilt auch dann, wenn nur die AfD unsere Anträge unterstützt“. Später wurde das Vorgehen von Friedrich Merz bestätigt. Das ganze führte dann zu Unruhe im CDU-Präsidium, vielen Mitgliedern wurde langsam die Tragweite der Richtungsänderung klar. Von Carsten Linnemann kam am Nachmittag des Tages die Aussage „Das Nazi-Bashing gegen die und das Brandmauergerede müssen aufhören.“ Am Wochenende meldeten sich daraufhin laut Stern führende Parteimitglieder, vielfach mit der Intention, „eine mögliche Mehrheit mit der AfD noch zu verhindern“. „Die Brandmauerdebatte mitten in der Woche des Holocaustgedenkens ist das schlimmstmögliche Symbol“.

Das ganze blieb erfolglos, Linnemann gab die Linie vor: „Wir ziehen das jetzt durch“. Am Samstagabend ging eine E-Mail mit den beiden Unionsanträgen an die Fraktionschefs von SPD und Grünen. „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet die Fraktionen SPD, Bündnis90/Die Grünen und die FDP um Prüfung, ob sie diesen Anträgen zustimmen wollen.“ Kurz darauf ging das ganze auch an die Medien. Laut Stern führte Merz selbst wohl keine Gespräche mit den anderen Fraktionschefs, „nicht mal mit Rolf Mützenich, zu dem er ein vertrauensvolles Verhältnis pflegt“. Auch Anrufe von „hochrangigen Grünen“ wurden angeblich nicht beantwortet. Das führte dann laut dem Artikel bei SPD und Grünen zu dem Eindruck, dass Merz keine Zusammenarbeit wolle. Auch die Unionsgremien wurden über die Anträge nicht informiert, bevor sie herausgingen.

Die AfD verfolgte das Agieren von Merz natürlich aufmerksam und witterte ihre Chance. Man plante dort, selbst den seit dem letzten Jahr existierenden Unionsentwurf zu einem Zustrombegrenzungsgesetz selbst zur Abstimmung zu stellen, falls die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion das nicht tun würde. So wurde aus Merz plötzlich ein von der AfD Getriebener.

Zum Fünf-Punkte-Plan von Merz herrschte in der AfD die Auffassung, die Vorteile einer Zustimmung würden die Nachteile überwiegen, diese Linie wurde vor allem von Alice Weidel vorgegeben. Kritische Passagen zur AfD würde man in Kauf nehmen. Ab diesem Moment wurde Merz laut Stern zum Hasen in einem Hase-und-Igel-Spiel.


In einer Online-Sitzung des CDU-Präsidiums am Montagvormittag gab es erstmals auch Widerspruch zu den Merz-Plänen. „Man verspreche hier Dinge, die kaum umzusetzen seien“. Namentlich genannt wird der CDU-Landeschef von Niedersachsen, Sebastian Lechner. Später gab es dann eine Schalte des CDU-Bundesvorstands, der von Merz auf Geschlossenheit eingeschworen wird. Laut Stern kommt hier nur von Daniel Günther deutliche Kritik.

Am Dienstag legt Merz intern noch einmal nach. „Wer in ein Wespennest sticht, muss richtig zugreifen“. Die Fraktionsführung beschließt, das Zustrombegrenzungsgesetz selbst auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen, um der AfD zuvorzukommen. Widerspruch kommt nur von der Abgeordneten Antje Tillmann, die dann am Mittwoch gegen die Anträge ihrer eigenen Fraktion stimmt.

Am Mittwoch wird dann abgestimmt, der Antrag für einen faktischen Einreisestopp wird dank der Stimmen der AfD angenommen.

„Viele Abgeordnete der Union sitzen mit eingefrorenen Mienen im Plenarsaal. Links von ihnen klatscht und johlt die AfD. Die Abgeordneten versammeln sich um Fraktionschefin Alice Weidel zum Erinnerungsselfie, beglückwünschen sich, Handshakes.“

Am Donnerstag stellt sich dann Angela Merkel gegen Friedrich Merz, Peter Altmaier und der ehemalige saarländische Ministerpräsident Tobias Hans kritisieren die Entscheidung. Michel Friedmann verlässt die CDU, der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg kündigt an, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Die Unionsfraktion ist gespalten. Einerseits heißt es u.a. „Wir wollen den Brand hinter der Brandmauer löschen, nicht die Mauer abbrennen“ oder Über uns wird in den nächsten Tagen ein Orkan hinwegfegen. Aber wenn wir umkippen, war’s das für uns.“ Andere, liberale Mitglieder der Fraktion fühlen sich überfahren und „zur Solidarität gezwungen“.

Am Donnerstag ruft dann Friedrich Merz doch noch Rolf Mützenich an. Der aber erwiderte, dass es Gespräche nur dann geben könne, wenn die Union das Gesetz von der Tagesordnung für Freitag nehmen würde. Das wurde von Merz verweigert.


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