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Apropos Ungarn... (Sonstiges)

Garum, Bornum am Harz, Sonntag, 03.02.2019, 18:21 (vor 1880 Tagen) @ Alones

Da Du ja anscheinend vor Ort bist, würde mich mal interessieren wie die Stimmung so ist? Hast Du das Gefühl das die meisten Orban zustimmen oder das man aus Angst vor Repressionen die Füße still hält?


Ich studiere in Budapest und bin mittlerweile mein drittes Jahr in Ungarn (von Semesterferien etc. mal abgesehen). Ich würde mich allerdings niemals als Experte bezeichnen wollen, weil ich halt hier schon sehr stark in meiner Bubble lebe. Es geht schon einmal damit los, dass ich Budapest nicht einmal unbedingt als "Ungarn" bezeichnen würde. Die Stadt ist sehr international und profitiert enorm vom Tourismus sowie kulturellen Austausch (Erasmus etc.). Dementsprechend ist in Budapest auch der größte Widerstand gegen die Orban-Administration. Das ging los mit Protesten für die akademische Freiheit bis hin zu Demonstrationen gegen das neue "Sklavengesetz". Auch gegen die Kriminalisierung von Obdachlosen gibt es gewaltigen Widerstand (in Ungarn ist es mittlerweile beispielsweise per Gesetz verboten Obdachlosen Essen zu geben, woraufhin meine Universität Spendenaktionen einstellen musste). Bis auf ganz wenige Ausnahmen habe ich bislang kaum Orban-Anhänger getroffen. Rein auf Budapest bezogen, wäre ich mir nicht einmal sicher, ob Fidesz überhaupt die Mehrheit holen würde, wenn es eine echte Chance für einen politischen Wechsel geben würde. Das "Problem" ist eher der Rest des Landes. Dort hat man den Eindruck, nicht wirklich vom wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu profitieren.

Ganz grundsätzlich ist es aber nicht so, dass die Ungarn frenetisch Orban bejubeln würde. Die Wahlbeteiligung ist mit 70% auch nicht wirklich hoch und viele Wahlkreise wurden zum Vorteil von Fidesz verändert. Der Aufstieg von Fidesz hat in erster Linie mit dem Versagen der korrupten politischen Klasse zuvor zu tun. Ich selber hatte mal die Gelegenheit ein paar Sätze mit einem Vorgänger von Orban zu wechseln. Freudlicher Typ, aber niemand dem ich ein Land anvertrauen würde. Zumal dieser auch gut angeheitert in einer Bar unterwegs war. ;) Und tja, seit 2015 hat er es Orban geschafft, die Leute mit dem Thema Migration verrückt zu machen. Der Wahlkampf 2018 bestand im Grunde nur aus diesem Thema.

Dabei ist das größte Problem gar nicht die Migration (im Grunde bräuchte Ungarn sogar dringend Migration), sondern die Abwanderung vieler junger Menschen. Viele davon sehr gut ausgebildet. An meiner Universität habe ich ehrlich gesagt auch noch keine einzige Person getroffen, die Ungarn nicht verlassen möchte. Die Ironie: gerade die jungen, gut ausgebildeten Leute, die das Land so dringend bräuchte, werden durch die Orban-Politik vergrault. Und wer bleibt zurück? Natürlich die Alten und Frustierten. Dass dann insgesamt ein negatives Gefühl beim Thema Migration aufkommt, kann ich sogar nachvollziehen. In Polen z.B. gibt es ähnliche Probleme. Wenn dann noch das Gefühl entsteht, dass viele deutsche Firmen nur nach Ungarn kommen, um von den niedrigen Löhnen zu profitieren, entsteht insgesamt eine gefährliche Mischung.

Zu den Repression der Orban-Regierung nur noch so viel: Angst hat eigentlich keiner. Es ist ja nicht so, als würden hier rechtsradikale Schlägertrupps durch die Straßen laufen und alle Andersdenkenden aufmischen. Aber den Druck der Regierung gibt es natürlich schon. Das geschieht dann eher unterschwellig und subtil. Überall werden nach und nach Orban-Marionetten installiert. Und wenn sich irgendwo ein bisschen Widerstand formiert, wird dann halt dagegen vorgegangen. So mussten in den vergangenen Jahren bereits einige Clubs/Bars schließen, die als eher regierungskritisch galten. Dann bekommt man eben keine Lizenz mehr oder es werden Auflagen gestellt, die unmöglich zu erfüllen sind. Das sind die Methoden, mit denen so gearbeitet wird. Auch in anderen Bereichen natürlich: Presse, Bildung, Wirtschaft, etc. pp.

Dennoch, um zum Abschluss auch noch etwas positives zu sagen, ist Ungarn ein schönes Land und gerade Budapest ist immer eine Reise wert (Lothar Matthäus wird das bestätigen können ;)). Vor allem als Ausländer lebt es sich sehr gut, weil man in der Regel nur am Rande von den politischen Repressionen mitbekommt und ansonsten das internationale Flair der Stadt genießen kann. Erstaunlicherweise gibt es hier sogar relativ viele Moslems (hauptsächlich Studenten) und Juden (Budapest ist bekannt für seine große jüdische Community und das jüdische Viertel gilt sogar als DAS Partyviertel der Stadt). Also in manchen Punkten ist es dann auch nicht ganz so schlimm, wie es manchmal gemacht wird. Am Besten selber vorbeikommen und einen eigene Meinung bilden. Denn noch ist es nicht soweit, dass man Angst vor Ungarn haben muss. ;) Und eine Anti-EU-Stimmung wie in UK lässt sich selbst bei den fanatischsten Orban-Anhängern kaum ausmachen.

Danke Dir, das war sehr informativ.


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