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Merkels nächstes Opfer (Sonstiges)

Knüppler17 ⌂, Montag, 02.07.2018, 13:16 (vor 2122 Tagen) @ Klopfer

Ich finde ja die Einseitigkeit bemerkenswert, mit der diese ganze Geschichte seit Wochen durch die Gazetten geistert. Die CSU eskaliert? Die Regionalpartei dreht durch und nimmt ein ganzes Land in Geiselhaft? Seehofer und Söder, die beiden Scharfmacher der Nation? Puh. So weit ich das irgendwann einmal mitbekommen habe, gehören zu einer Eskalation immer zwei Seiten. Der eine, der eskalieren will, und der andere, der eskalieren lässt. Oder eben zwei Seiten, die es mal so richtig wissen wollen. Bei Merkel und Seehofer ist eher die zweite Option zutreffend.

Seehofer, große Teile der CSU (sowie einige Teile der CDU), wollen die ewig lavierende, mäandernde, sich nie festlegende, windelweiche Merkel mit Druck auf eine Position festnageln. Der Anlass ist verhältnismäßig klein, berührt aber ein Glaubwürdigkeitsdefizit der CDU: Wenn 2015 zu viele Migranten kamen, um unberechtigte Einreisen zu verhindern, und es jetzt mit den paar hundert in Bayern zu wenige sein sollten, als dass sich der Aufwand des Verhinderns unberechtigter Einreisen lohnen würde - innerhalb welcher Bandbreite sollten unberechtigte Einreisen denn überhaupt noch verhindert werden? Hier kommt in so mancher Stellungnahme vor allem Willkür zum Ausdruck.

Merkel schätzt die Freiheit, die ihr eine handzahme grüne Opposition seit Jahren gibt - die CSU kann das grüne Anbandeln partout nicht ausstehen. Seehofers Schritt zielte darauf ab, Merkel zu einer Festlegung zu zwingen: Sein "Masterplan" mit einer Rückweisung an der Grenze würde die Grünen verprellen. Merkel hätte sich festlegen müssen, ob sie lieber Ruhe mit der CSU haben oder die Nähe zu den Grünen aufrecht erhalten will. Nichts hasst Merkel so sehr wie eine solche Festlegung, also entschied sie sich, weiter im Ungefähren zu bleiben und von europäischen Lösungen zu träumen.

Problem 1: Gleich zwei Länder, die sie nach dem EU-Gipfel sicher auf ihrer Seite zu haben dachte, haben das direkt dementiert. Entweder scheint sie die Situation falsch wahrgenommen, die Formeln endgültig zu schwammig gelassen oder aber auf europäischer Ebene bereits so viel Ansehen verloren zu haben, dass man ihr schon zwei Tage nach dem Gipfel die Tür weisen kann.

Problem 2: Eine europäische Lösung zeichnet sich immer stärker ab, da immer mehr Länder dazu übergehen, Flüchtlinge einfach gar nicht mehr aufzunehmen oder direkt abzuweisen (Visegrad, Italien, Malta, Spanien, etc.). Je länger Merkel hier an ihren unkonkreten Konstrukten festhält, desto stärker werden die Mittelmeeranrainer dazu übergehen, Fakten zu schaffen. Seehofers rigide Haltung dürfte in ihrem Kern deutlich näher bei diesen Partnerländern liegen, als Merkels "mal sehen/wird schon/weiter so".

In all diesem Kuddelmuddel entschied sich Merkel, sich von Seehofer nicht erpressen zu lassen und ihrerseits zu eskalieren. Sie war es, die offen einen Ministerrauswurf androhte. Und sie war es, die trotz der von Seehofer wiederholt als "relativ kleinen Personenkreis" bezeichneten Gruppe keinerlei Bereitschaft zum Einlenken zeigte und eine Regierungskrise in Kauf nahm. Dass Seehofer seinen Rücktritt anbot (und wie er es tat und wie es nach außen drang), war der nächste Eskalationsschritt. Dass Dobrindt als Vorsitzender der Landesgruppe im Bundestag diesen Rücktritt ablehnt, weil die CSU nur aufgrund der Sturheit, Unbelehrbarkeit, ... Merkels in diese Situation geriet, packt gleich noch ein paar Eskalationsstufen oben drauf. Merkel muss jetzt entweder einlenken oder sich mit der CSU-Landesgruppe anlegen - auch Seehofers Aussage, vor einem Rücktritt noch einen letzten Versuch des guten Willens zu zeigen und ein letztes Gespräch mit Merkel zu suchen, legt ihr das Messer noch einmal an den Hals.

Wenn die BT-Fraktion Seehofers Rücktritt zum Anlass nimmt, die Fraktionsgemeinschaft zu beenden, ist Merkels Regierung durch. Sie wird diejenige Kanzlerin sein, unter der Porzellan in historischem Ausmaß zerbrochen wurde und die es nicht einmal schaffte, den eigenen Laden zusammenzuhalten. Bleibt die Fraktionsgemeinschaft bestehen, wird das Theater bis zur nächsten Bundestagswahl weitergehen. Knickt die CSU nun ein und opfert Seehofer, wird dieser für so manchen Konservativen zum Märtyrer werden. Was sich in weiter sinkenden Umfragewerten Richtung 35% mit zugleich wachsender Zustimmung zur AfD niederschlagen wird, die im bayerischen Landtag dann vielleicht auf die 20% zugehen könnte. Was wiederum die CSU antreiben dürfte, ihr konservatives Profil noch stärker zu schärfen und die Auseinandersetzung so richtig hässlich werden zu lassen.

Was auch immer passiert, sehe ich keinen Weg mehr, der Seehofer und Merkel unbeschadet aus der Nummer herauskommen lässt. Beide werden massiven Schaden nehmen, allerdings haben auch beide in eklatanter Weise zu dieser Situation beigetragen und an der Eskalationsschraube gedreht. Aber eben längst nicht nur Seehofer, wie es so mancherorts zu lesen ist.


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