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Die Union ist so durch wie weite Teile des Volks. (Sonstiges)

Knüppler17 ⌂, Freitag, 15.06.2018, 11:35 (vor 2135 Tagen) @ Jurist81
bearbeitet von Knüppler17, Freitag, 15.06.2018, 11:42

Hier werden aber auch wirklich viele Dinger munter durcheinander geworfen und z.T. Probleme konstruiert. Am Beispiel des sozialen Aufstiegs:

Natürlich gibt es die Chancen in der Theorie, in der Praxis gelingt er immer seltener. Das liegt zuallererst aber daran, dass beinahe die gesamte Gesellschaft bereits einen so hohen Status erreicht hat, dass es von dort immer schwerer wird, noch einen weiteren Aufstieg zu schaffen. Genauso wie 6% Wirtschaftswachstum von 2 Billionen Dollar BIP (Indien) eben leichter zu schaffen sind als 6% Wirtschaftswachstum von 18 Billionen Dollar BIP (USA, was Donald Trump auch immer wieder zu verwirren scheint). Es liegt in der Natur der Sache, dass Aufstiegschancen vor diesem Hintergrund weniger werden, Aufstieg viel öfter graduell als in Quantensprüngen erfolgen wird und die Bequemlichkeit zunimmt, weil zunehmend viele Menschen durchaus zufrieden sind.

Wir selbst müssen uns jedoch einfach mal klar darüber werden, dass unsere Generation den Traum lebt, den unsere Eltern und Großeltern hatten, wenn es um unsere Zukunft ging. Abiturientenquoten über 50%, Studentenquoten eines Jahrgangs z.T. über 50%, Frieden, geregelte Arbeitszeiten unter 60 Stunden die Woche, kulturelle Angebote von Internet und Fußball bis hin zur Oper, erschwingliche Flugreisen quer durch die Welt, nahezu Vollbeschäftigung mit einem weitgehend funktionierenden System aus Krankenkassen und sozialer Sicherung. Dieser Zustand dürfte wohl selbst das um Längen schlagen, was sich Marx vor dem Hintergrund der scheißgefährlichen Arbeit in Manchesters Fabriken als Utopie vorgestellt hatte - Menschen werden zunehmend unabhängig von ihrer Lohnarbeit, sind immer seltener Lohnsklaven und haben Zeit sich für Dinge zu interessieren, an die vor 150 Jahren niemals zu denken war. Auch das muss man sich vergegenwärtigen.

Damit zusammen hängt dann auch die so oft beklagte Zunahme der Minijobs und nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Sie ist eine direkte Folge des ansonsten gefeierten Zustands hoher Studentenzahlen. Indem Jugendliche eben keine Ausbildung mehr machen und bereits in jungen Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sondern im Regelfall an eine Hochschule gehen und dort 4-6 Jahre studieren, steigt natürlich auch das Angebot an Minijobbern. Viele Minijobs vom Hiwi, Tutor und Werksstudent über Putzkraft und Kassierer bis hin zu Barkeeper und Kellner werden von Studenten ausgeübt, die sich Geld für ihr Studium hinzuverdienen. Das ist kein beklagenswerter Zustand, sondern ganz im Gegenteil ziemlich erfreulich, weil Studenten mit der Arbeitswelt in Kontakt kommen und diese Jobs in aller Regel nicht für die Ewigkeit ausüben. Sie bleiben regelmäßig 2 bis 6 Jahre in einem solchen Beschäftigungsverhältnis und steigen nach dieser Zeit in ein sozialversicherungspflichtiges Verhältnis auf. Auch hier bringt der Blick auf die nackten Zahlen ("immer mehr Minijobber, immer mehr nicht-sozialversicherungspflichtige Jobs") eben nicht adäquat zum Ausdruck, dass sich dahinter ein mitunter erfreulicher Zustand verbirgt.

Gleiches gilt für Studien, wie sie vor einigen Wochen zum großen Armutsskandal aufgebauscht wurden. Da echauffierte sich selbst die FAZ, dass jeder dritte Deutsche ab 16 Jahren keine unerwarteten Ausgaben von 985 Euro schultern könne. Mich hätte es ehrlich gesagt gewundert, wenn mehr als jeder zehnte 16 bis 25-jährige oder mehr als jeder fünfte 16- bis 30-jährige mal eben so über 1000 Euro im Monat frei verfügen könnte. Auch hatten meine Eltern keine 1000 Euro im Monat zur freien Verfügung und mussten auf Urlaub mit ihren Kindern verzichten, als sie ein Grundstück gekauft und ein Haus gebaut hatten, ohne dass dies als Zeichen besonderer Armut zu werten gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund hätte ich es sogar als äußerst positives Signal gesehen, dass nahezu 70 Prozent der Deutschen sich tatsächlich unerwartete Ausgaben in Höhe von 1000 Euro im Monat leisten können. Statt diese Nachrichten in einen Kontext einzuordnen und positive Entwicklungen als solche zu bezeichnen, beginnt unser Leidensdruck nun aber scheinbar dort, wo Teenager oder Studenten nicht jeden Monat 1000 Euro auf der hohen Kante haben oder sich keinen zweiwöchigen Auslandsurlaub leisten könnten. Da haben wir schlicht ein Entwicklungsniveau erreicht, auf dem es für einen großen Teil der Gesellschaft nicht mehr allzu weit nach oben gehen kann.

Die eigentlich spannende Frage ist dann auch die, ob die Flüchtlingskrise/Integration zur Entwicklung einer neuen Unterschicht führt, in der eben Syrer, Afghanen, Iraker oder Afrikaner (Maghreb, Sahara, Subsahara) ausgenutzt werden oder in kriminelle Schattenwelten abrutschen. Eben dieses Problem ist im UK entstanden, das in den 1990er Jahren vor Kraft kaum laufen konnte, unheimlich attraktiv für Migranten aus aller Welt wurde und die Entwicklungen so lange weiterlaufen ließ, bis eine gesellschaftliche Mehrheit die Schnauze voll hatte und mit UKIP/Brexit ein Stoppsignal setzte. Hier geriet die Unterschicht des UK in massive Konkurrenz zur neu hinzugezogenen Unterschicht, während die Mittelschicht sich hinter reichen Asiaten einreihen musste und tatsächlich bzw. gefühlt abgehängt wurde (massiv gestiegene Studiengebühren, Immobilienpreise im regelmäßig siebenstelligen Bereich/Gentrifizierung, NHS). Hier entstand ein gefährlicher Cocktail und nahm Rassismus (v.a. ggü. Asiaten) freien Lauf. Das UK machte seine größten Fehler, als es sich zu stark fühlte, Migrationsprobleme angehen zu müssen - gerade dieses Beispiel sollte uns Warnung sein, dieses Thema ernstzunehmen und in der einen oder anderen Richtung zu lösen, bevor es eines nicht allzu fernen Tages die AfD für uns übernehmen wird.


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