Kritik an der Studie (Corona)

CLM, Berlin, Mittwoch, 24.03.2021, 17:43 (vor 1737 Tagen) @ Ulrich

Ich hatte es weiter unten heute morgen schon mal geschrieben, dann überschlugen sich die Ereignisse, daher hier noch mal meine Kritik an der Studie:

Vorweg: Eine gute und interessante Studie, die sehr schön aufzeigt, wo man ansetzen muss und was das für Auswirkungen haben kann.

Trotzdem finde ich, ist ein wenig Kritik angebracht.

Zum Einen der erste Chart auf Seite 5, wo dargestellt wird, wie die Kurven verlaufen könnten. Ich weiß nicht, wann diese Grafik erstellt wurde (vermutlich nicht am 19.3. sondern deutlich früher), aber sie scheint nicht ganz mit den aktuellen Werten mitzulaufen. Laut dieser Modellierung müssten wir jetzt, am heutigen Tage bei einer Inzidenz von 210 liegen. Und zwar egal ob grüne oder orangene Linie. Tatsächlich liegen wir aber ungefähr bei der Hälfte. Die grüne Linie geht anschließend von einer Inzidenz am 1.4. von ca. 300 aus, die orangene Linie von ca. 260. Das ist in genau 7 Tagen. Gehen wir von einer 4%igen täglichen Steigerung in den nächsten 7 Tagen aus, kommen wir auf eine Inzidenz von 153, bei einer 5%igen täglichen Steigerung bei 160. Um auf eine Inzidenz von mindestens 260 kommen, braucht es eine durchschnittliche tägliche Steigerung von 12% ab sofort. Und das ist die orangene Linie in der Grafik, die aussagt, dass die Öffnungen so zurückgefahren werden, wie sie vor dem 8. März waren. Für die 300er Inzidenz (grüne Linie, Öffnungen bleiben so wie letzte Woche) bräuchte es eine tägl. Steigerung von 14%. Da kann man relativ sicher sagen, dass das in dieser krassen Form nicht passieren wird.
Wenn diese Annahmen also schon in diesem frühen Stadium derart daneben liegen, fällt es mir schwer auch den anderen Annahmen komplett zu folgen.

Nicht falsch verstehen, ich bin momentan auch eher Mahner und Realist und erwarte eine deutliche Steigerung der Inzidenz und finde, dass die jetzt beschlossenen Maßnahmen Kokolores sind. Aber ich würde an Ostern von einer Inzidenz von 200 ausgehen. Die hier dargestellte grüne Linie ist da schon fast bei 400.

Beim Überfliegen der Studie bin ich auf einen Satz gestoßen, der, meiner Meinung nach, auch nicht ganz haltbar ist. Da steht auf Seite 9 über das Reisen innerhalb Deutschlands:

Für unsere Modellierung haben wir die folgende Skalierung gewählt: wenn 100 Personen von Berlin nach Hamburg reisen, ist der Anteil der infizierten Personen dabei genauso hoch, wie der Anteil in der Gesamtbevölkerung Berlins zu diesem Zeitpunkt.

Das halte ich für zweifelhaft. Von den Infizierten haben viele Erwachsene leichte oder deutliche Symptome (Freunde von mir, beide um die 30, waren 2 Wochen komplett ausgeknockt und haben 3 Monate danach immer noch nicht die volle Leistungsfähigkeit erreicht). Gehen wir davon aus, dass ein Viertel bis ein Drittel der Menschen, die leichte bis deutliche Symptome haben, diese ernst nimmt und eher nicht auf Reisen geht. Ergo müsste der Anteil an Infizierten unter Reisenden deutlich geringer sein (nämlich nur die Asymptomatischen und die, die es nicht ernst nehmen) als in der Gesamtbevölkerung.
Das ist nur ein kleiner Punkt und man kann sicher darüber streiten. Ich halte es aber mindestens für ungenau und die Aussage für nicht belegbar. Insofern sind alle Berechnungen, die daraus erfolgen, zumindest ebenfalls ungenau bis hin zu zweifelhaft.

Das sind nur zwei auf die schnelle gefundene Ungenauigkeiten. Wenn man sich jetzt intensiv damit beschäftigt, besteht nun die berechtigte Annahme, dass man weitere finden kann.

Wie gesagt, ich will die Grundaussage der Modellrechnung gar nicht in Zweifel ziehen. Eine solche Modellrechnung ist wichtig und sie zeigt deutlich, wo anzusetzen ist. Aber die Annahmen sind an manchen Punkten dann doch recht einfach und die daraus prognostizierten Inzidenzen halte ich deswegen doch für überdenkenswert.