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Frankreich / Stand Mittwochabend (Corona)

Will Kane, Saarbrücken, Donnerstag, 23.04.2020, 19:40 (vor 1507 Tagen) @ Davja89

Moin,

Da du sehr gut informiert bist hast du vllt etwas mehr Überblick.

Es scheint so das in den Stadtrandvierteln die Stimmung grade kippt...?
Ist das wirklich so oder wird ein Einzelfall hochgejazzt?
Weil im Spiegel spricht man davon das man Angst hat das dass das ganze Land ergreifen könnte?

Ich hatte es das eine oder andere mal kurz erwähnt, dass die Situation in den ‚sensiblen Vierteln‘ (so mittlerweile der offizielle Sprachgebrauch) gärt. Den Vorfall in Villeneuve-la-Garenne würde ich persönlich nicht unbedingt als ‚Initialzündung‘ für bürgerkriegsähnliches Zustände wie 2005 betrachten. Dafür hat es vorher schon zu viele Gewalttätigkeiten gegen Polizei und Feuerwehr in der Zeit des confinements in verschiedenen Vierteln gegeben (und über die letzten Jahre). Wenn es zu größeren Ausschreitungen kommen sollte, dann war die Gefahr hierfür von Beginn des confinement an gegeben.

Die Situation ist mMn sehr diffizil und einfache Erklärungsmuster greifen hier nach meiner Auffassung nicht. Tatsache ist, dass ca. 8% der Einwohner Frankreichs in überbelegten Wohnungen leben. Und diese befinden sich hauptsächlich in den ‚sensiblen Vierteln‘. In der Regel ist es so, dass Familien mit Migrationshintergrund mit vielen Kindern in Wohnungen leben, die für Familien mit zwei Kindern ausgelegt sind. Dies ist a priori eine konfliktträchtige Situation. Gerade die männlichen Jugendlichen aus diesen Familien versuchen der Enge zu entfliehen und hängen auf den Straßen der Viertel ab. Wo das Gesetz der kriminellen Banden gilt. Diesen kann man sich kaum entziehen in diesen Vierteln. Die staatlichen Behörden haben längst die Kontrolle verloren. Polizei lässt sich nur ungerne blicken und dies auch nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

Da war es von vornherein klar, dass das confinement nicht problemlos verlaufen würde. Wer hält sich schon gerne in einer überfüllten Wohnung mit acht oder zwölf Personen auf, die eigentlich für vier Personen schon knapp bemessen ist? Die staatlichen Autoritäten sind Feindbild, und da lassen sich viele auch nicht gerne kontrollieren, wenn sie auf der Straße in Gruppen abhängen und damit gegen die Auflagen verstoßen. Hinzu kommt, dass gerade in der ersten Zeit des confinement nicht wenige Bars in diesen Vierteln weiter geöffnet hatten, was zwangsläufig den Einsatz der Polizei nach sich gezogen hat. Dass diese nicht unbedingt freundlich begrüßt wurde, kann man sich ausmalen.

Hinzu kommt, dass skrupellose Vermieter Wohnungen überteuert an ‚Illegale‘ vermieten, die zu mehreren in einem Zimmer hausen und sich für 30 € am Tag auf dem Arbeitsstrich verdingen. Denen fehlt aktuell m Prinzip alles.

Ein nicht unwesentlicher Aspekt ist der Umstand, dass der Nachschub an Drogen durch die Immobilität stark eingeschränkt ist. Das führt zu verstärkten Auseinandersetzungen konkurrierender Banden untereinander.

Der Aufenthalt in überfüllten Wohnungen, das Abhängen Jugendlicher auf den Straßen ohne jegliche Wahrung physischer Distanz - im Prinzip ein idealer Nährboden für die Verbreitung des Coronavirus. Und in einigen ‚sensiblen Vierteln‘ ist dies auch so. Aber beileibe nicht in der Mehrzahl dieser Viertel. Es lässt sich in diesen Vierteln halt nichts über den einen Kanm scheren.

Denn die Mehrzahl der Bewohner führt das, was man gemeinhin ein ‚ehrbares Leben‘ nennt. Man übt Tätigkeiten aus, die nicht sehr gut bezahlt sind und auch nicht das größte Ansehen genießen. Aber man fährt mit der Metro jedem Morgen in der Früh zur Arbeit, hat abends dann mit denn beengten Verhältnissen zuhause zu kämpfen und hält sich an Recht und Gesetz, obwohl die Verführung der Kriminalität allgegenwärtig sind.

Die Politik hat auch erkannt, dass sie diesen Menschen zumindest Respekt zollen muss. Präsident Macron hat ein Krankenhaus in St. Denis besucht und in seiner letzten TV-Ansprache den Menschen, die trotz dieser beengten Verhältnisse Disziplin wahren, seine Anerkennung ausgesprochen. Man wird sehen, was nach der Coronakrise in und für diese Viertel getan wird. Allein Geld hineinpumpen wie schon so oft, wird wenig bewirken. Zumal radikalislamische Rattenfänger seit einiger Zeit gezielt in diesen Vierteln agieren und die verführerische ‚einfache Lösiung‘ propagieren und auch Anhänger gewinnen.

Diese Viertel sind eine Melange aus Perspektivlosigkeit und Hoffnung auf ein besseres Leben, aus Abgleiten in die Kriminalität und dem Bemühen um Gesetzestreue, aus Gewalttätigkeit und friedlichem Zusammenleben. Und durchaus eine tickende Zeitbombe. Ob sie in den nächsten Wochen des confinement bis zum 11. Mai hochgeht, ist schwer vorherzusagen. Die Befürchtungen, dass es so kommen könnte sind nicht unberechtigt und definitiv vorhanden. Ich persönlich bin nicht unbedingt davon überzeugt. Aber die Zeit bis zum 11. Mai ist lang. Und danach geht es ja nicht einfach so weiter wie vor dem confinement. Leidtragend wäre in erster Linie die Mehrheit der Bewohner, die einfach ‚anständig‘ leben will. Hoffen wird das beste.


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