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Eigentlich wollte ich mich hier ja raushalten... (Sonstiges)

Philipp54, Mittwoch, 24.06.2020, 11:10 (vor 1399 Tagen) @ Jurist81
bearbeitet von Philipp54, Mittwoch, 24.06.2020, 11:25

Es bringt schlicht wenig hier einerseits mit Zahlen aus einem Konzept zu diskutieren, das uns nicht bekannt ist. Wie berechnen sich die 602,00 EUR? Haben die Grünen hier "nur" eine Erhöhung von 40% als angemessen erachtet, oder wurden die einzelnen Bestandteile zur Berechnung des Existenzminiums anders beurteilt? Man weiß es nicht.

Jede Diskussion führt daher zu den beiden unversöhnlich gegenüber stehenden Polen: Die, die den Betrag für gering erachten, und die, die diesen für angemessen erachten. Da geht es auch gar nicht so sehr um Fakten, wie man hier manchen Beiträgen entnehmen kann, sondern um Gefühle. Solche dessen, der sich morgens um halb sieben zur Arbeit quält und das System finanziert und solche derer, die sich wirtschaftlich ausgegrenzt fühlen, bzw. die der Ansicht sind, dass ALG-II-Empfänger wirtschaftlich ausgegrenzt werden.

Auf dieser Basis ist das Ergebnis jeder Diskussion vorprogrammiert.

Daher sollte man meines Erachtens ein paar Aspekte berücksichtigen, die bislang nicht angesprochen wurden, oder nur gestreift wurden:

- Was ist das Ziel des Vorschlags? Das Existenzminimum soll näher an den mittleren Einkommen der Gesellschaft liegen.

Natürlich ist der Begriff "näher an" ziemlich schwammig. Aber die Intention, die sich hinter der Aussage versteckt, ist zeimlich klar. ALG II-Bezieher sollen weg vom finanziellen Rand der Gesellschaft. Welche Auswirkungen hat das? Ist das Lohnabstandsgebot dann noch gewahrt? Welche Umstände lassen die Ausübung eines Niedriglohnjobs dann noch attraktiv erscheinen? Könnten diese Jobs auch bei höheren Löhnen bestehen bleiben oder würden sie wegfallen?

- Was dind die direkten und indirekten Kosten dieses Vorschlags?

Die direkten Kosten kann man relativ einfach berechnen. Bei gleicher Anzahl von ALG-Beziehern würden sich die Ausgaben um knapp 40% erhöhen. Das wäre eine Steigerung von ca. 20 Milliarden EUR (im Jahr 2018, neuere Zahlen konnte ich nicht finden) auf dann 28 Milliarden EUR bedeuten.

Schwieriger zu berechnen sind die indirekten Kosten. Diese können dadurch ausgelöst werden, dass mehr Menschen ALG II in ANspruch nehmen statt einen Niedriglohnjob auzuüben. Mit einer steigenden Anzahl von ALG-II-Empfängern würde einhergehen eine nedrigere Anzahl von Sozialversicherungszahlern.

- Wer soll das bezahlen?

Durch das Coronamaßnahmenpaket haben wir die größten Schulden seit dem 2. Weltkrieg aufgenommen. Diese werden bedient werden müssen. Zur Zeit sind die Zinsen niedrig (und das werden sie voraussichtlich noch einige Zeit bleiben). Gleichwohl müssen diese Schulden bedient werden. Da man eher nicht Ausgaben in diversen Bereichen zurückfahren wird und die Konjunktur auch keine höheren Einnahmen verspricht, geht eine Refinanzierung auf Sicht nur durch erhöhte Belastungen. Angenommen es bliebe bei den zuvor dargestellten 8 Milliarden EUR höheren Ausgaben für ALG-II (was mir unwahrscheinlich erschiene), würde allein dieser Posten eine Steigerung des Bundeshaushalts (2019, da 2020 auf Grund der Sondersituation nicht als Vergleichsmaßstab taugt) von knapp 2,2% bedeuten.

Mit den bisherigen Mitteln der Staatsfinanzierung und den Anreizen Arbeitsplätze zu erhalten, bzw. zu schaffen, wäre am naheliegensten eine Erhöhung der Einkommensteuer. 2015 (neuere Zahlen habe ich auf die Schnelle nicht gefunden), betrug das Aufkommen aus der Einkommensteuer 178,9 Milliarden EUR. Wollte man die zusätzlichen 8 Milliarden Ausgaben (die wie gesagt viel zu defensiv gerechnet sind) hierdurch finanzieren, müssten sich die Einkommensteuereinnahmen um knapp 4,5% erhöhen. Ein höherer Konsum würde zwar zugleich die Umsatzsteuereinnahmen erhöhen, dies hätte aber nur einen überschauberen Effekt, da sämtliche Einnahmen über die Umsatzsteuer nicht aus Leistung sondern aus Transfer entstünden. Man würde quasi nach dem Prinzip "rechte Tasche - linke Tasche" verfahren.

- Was sind die kurz- und mittelfristigen Folgen?

Für die Allgemeinheit: Inflation, Wegfall von Niedriglohnstellen, Wegfall von Sozialversicherungseinnahmen, höhere Staatsquote

Für ALG-Empfänger: höhere Einnahmen und einhergehenden größere Gestaltungsmöglichkeiten, geringere Anreize aus dem System auszubrechen

Für Niedriglohnempfänger: geringere Anreize arbeiten zu gehen, Empfinden sozialer Ungerechtigkeit

Für Einkommensteuerzahler: Noch höhere Belastung, Gewissheit "weicher zu fallen" im Fall des wirtschaftlichen Absturzes.

Mit dem bisherigen Mindestlohn + Lücken in der durchgängigen Beschäftigung bis zum Rentenalter, wird die Aufstockung nach Erreichen der Altersgrenze aber auch zusätzliche Milliarden kosten.
Die Lüge der SPD bzgl. Anerkennung der Lebensarbeitsleistung führt zusätzlich dazu, dass die Aufstockung selbst auf Hartz4-Niveau nach 35 anerkannten Anrechnungszeiten auf den Lebenspartner abgewälzt und dessen Lebensarbeitsleistung verringert wird.


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