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Sackgasse (Sonstiges)

medvet09, Mayen, Freitag, 14.06.2019, 10:02 (vor 2067 Tagen) @ Foreveralone

Dies ist ein BVB-, Fußballforum - deshalb habe ich mich immer bei der Thematik industrielle Landwirtschaft und den daraus resultierenden Problemen hier zurück gehalten. Es gibt andere Plattformen, wo man sich da austauschen kann...

Nun ist Sommerpause und das Thema hier angerissen und mein Senf passt dann doch hierher.

Von 1982 bis 1993 habe ich als junger Tierarzt in dem System gearbeitet - als Großtierpraktiker (so nennt man einen Nutztierarzt) und als Fleischbeschautierarzt.

Es waren die Jahre des endgültigen Umbruchs in der Landwirtschaft. Jahre des Haupthöfesterbens, des Verschwindens der kleinen Familienbetriebe (durch viele gesetzl. Maßnahmen gepusht, z.B. durch Milchkontigentierung, Subventionen für Gr0ßbetriebe, günstige staatl. geförderte Darlehen für Riesenställe, etc.).
Auch kleine regionale Schlachtbetriebe verschwanden (u.a. durch eine Vielzahl von gesetzl. Auflagen, die nur von Großbetrieben zu leisten waren), Unterbindung von Hausschlachtungen, etc.

Meine Tätigkeiten verkamen von Monat zu Monat mehr in die Richtung schlechte, krankmachende Haltungsbedingungen zu kaschieren, die Ausbeutung mit Medikamenten (auch Antibiotika) weiter möglich zu machen.

Die Fleischbeschau wurde von einer sinnvollen Geschichte (die Gesundheit des Menschen ist ein sehr hohes Gut; dafür zu sorgen, dass kein krankmachendes Lebensmittel in den Handel kommt eben extrem sinnvoll) eine reine Normerfüllung einer gesetzl. Vorgabe.
In den wenigen Jahren wurde mir die Zeit, die ich für die Untersuchung eines Schlachttieres hatte, um 85% gekürzt. Dies durch die Umstellung auf Schlachtbänder (Fließband).

Eine vernünftige und verantwortbare Beschau war in meinen Augen und in denen vieler Kollegen nicht mehr möglich.

Heute wird ein Vorgang, der unabdingbar in die Hände eines Tierarztes gehört - Fleischbeschau ist angewendete Pathologie - zu einem Großteil von sog. Meatinspektoren durchgeführt. In der Regel schon hochmotivierte Menschen, die aber in einem 6 Wochen Lehrgang keinen wirklich belastbaren theoretischen und praktischen Hintergrund erhalten konnten...

Die Lebensmittelüberwachung ist entgegen aller Beteuerungen schlechter geworden.

Die Tiere werden weite Strecken unter unsäglichen Bedingungen transportiert. Das eh schon schlechte "Produkt" (durch Schnellwüchsigkeit, durch rein auf rasches Wachstum ausgerichtetes Futter, etc.) wird dadurch noch mieser. Transportstress führt zum Verbrauch der Glykogenspeicher in der Muskulatur. Dieses ist aber notwendig für die Fleischreifung...

Aber wer kann denn heute noch ein gut gereiftes Stück Fleisch erkennen? Weder vor naoch nach der Zubereitung...

Die Forderung nach regionalen, multizentrischen Schlachtbetrieben ist eben nicht nur eine Forderung aus ethischen Gründen.

Langer Rede kurzer Sinn. Ich hatte viele Einblicke in den tierverachtenden und gesundheitsgefährdenden Wahnsinn und bin ausgestiegen (unter großem wirtschaftlichem Verlust). Vom Saulus zum Paulus ...


Mein Fleischkonsum beschränkt sich auf wenige ausgesuchte Mahlzeiten im Monat. Die "Brüderhähne" - da Tiere, die sonst sinnlos getötet worden wären - oder Rindfleisch von einem Biobetrieb, wo die Tiere Weidegang im ursprünglichen Sinn haben und bei einem kl. Schlachter 3 km entfernt ihr Ende finden.

Und ja, ich würde lieber ganz darauf verzichten...


Zur Politik.

Es müssen viele Dinge bewegt werden und dies funktioniert nur mit gesetzl. Vorgaben.

Dabei geht es eben nicht nur um das Tierwohl, um Empathie mit der Kreatur.

Es geht um uns selbst, um die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.

Der Bogen ist überspannt - der Weg führt nicht mehr in die Sackgasse, sondern er ist lange darin.

Die Zahl der Insekten ist in den letzten 25 Jahren um 75% zurückgegangen. Alle Wissenschaftler sind sich darin einig, dass dies menschengemacht ist.

Ohne Insekten können wir ca 60% unserer Lebensmittel aus den Regalen streichen (Google z.B. Penny, Bienensterben).
Ohne Insekten bleiben wir auf der Schei.... im wahrsten Sinne des Wortes sitzen (Google: Australien, Dungkäfer)
Ohne Insekten wird die Welt zu einer Welt von Pilzen und Bakterien.
Ohne Insekten wird die Welt zu einer Steppe aus Korniferen und Farnen.
Ohne Insekten wird die Welt zu einer endgültig stummen Welt (nahezu alle Tiere sind in der Nahrungskette auf diese angewiesen)

watch?v=gBnWrglnQ24


Hier geht es nicht nur um ein paar Bienchen und Schmetterlinge.

Wenn wir auf einer traditionell bewirtschafteten Fläche (Wiese, Acker) stehen, dann befinden sich in dem Block 30 * 30 * 30 cm unter uns mehr Lebewesen, als es Menschen auf dieser Erde gibt.
Das gleiche Stück Boden aus einem intensiv bewirtschafteten Acker, kommt noch nicht mal auf die Zahl einer Kleinstadt.

Wundert sich da wirklich noch jemand über Bodenerosion (die Menschheit verliert pro Jahr soviel fruchtbaren Boden, wie für die Ernährung von 500.000 Menschen notwendig ist)?
Wundert sich da noch jemand über massiven Input von Stickstoffverbindungen ins Grundwasser (Google: NRW Nitrat Grundwasser Karte)?
Wenn Gülle aus Intensivmastbetrieben in Unmengen auf den Äckern verklappt wird, wundert sich da noch jemand, dass Antibiotika ins Grundwasser gelangen (Google: Furazolidon Grundwasser)?
Wenn multiresistente Keime durch Antibiotikaabusus in den Intensivställen herangezüchtet werden, wundert sich da jemand, dass diese Keime dort nachgewiesen werden, wo die Gülle ausgebracht wird?

Ein Hühnerfilet ist lebensmitteltechnisch ein Gefahrgut (Google MRSA Geflügelfleisch) und gehört eigentlich verboten - nach LMG. Eine Kontamination eines beliebigen Bedarfsgegenstandes mit einer solchen Wahrscheinlichkeit wie eben Hühnerfleisch, würde zu Verboten, Rückholaktionen und Betreibsstillegungen führen.

Aber wir brauchen ja die Landwirtschaft in der vorhandenen Form.

Wir brauchen die Exporte nach China, Russland, usw. und es ist völlig i.O. dafür unsere Resourcen zu gefährden und zu vernichten (Grundwasser reinigt sich nunmal nicht).

Nein, Fleisch muss richtig teuer werden durch deutlich verbesserte Haltungsbedingungen. Soziale Ungerechtigkeiten können und müssen aufgfangen werden durch Umleitung der Agrarsubventionen an Bedürftige.

Ohne ein grundsätzliches Umdenken kommt die Menschheit nicht aus der Sackgasse heraus. Das Streben nach Biodiversität ist kein romantisches, weltfremdes Ansinnen...

Tote Böden, Monokulturen, die nur noch präventiv und begleitend durch Pestizideinsatz bestehen können - unsere Kinder werden uns eines nahen Tages die Hölle wünschen.


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