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Es brennt in NRWs Kitas (Corona)

Kruemelmonster09, Sonntag, 06.12.2020, 19:15 (vor 1238 Tagen) @ bigfoot49

Guten Abend liebe Schwatzgelbe,

Ich möchte euch heute Abend um etwas Bitten. Vorab muss ich allerdings erst einmal einiges erklären.

Seit nunmehr zwei Jahren darf ich mich staatlich anerkannter Erzieher nennen. Nachdem ich in diversen Brennpunkt-Bereichen gearbeitet habe, wechselte ich diesen Sommer in das Kita-Wesen.

Da die Kitas in der öffentlichen Diskussion ja kaum noch stattfinden, ist es mir ein dringendes Bedürfnis diese mal wieder in Erinnerung zu rufen.

Die Politik und viele Privatpersonen (auch hier im Forum) stützen sich gerne auf die diversen Studien, welche aussagen, dass junge Kinder so gut wie keine Überträger des Virus seien. Diese möchte ich gar nicht anzweifeln, oder sie mit Studien widerlegen, welche meiner Sache dienlich wären. Dennoch sind, laut RKI-Zahlen, Lehrer und Erzieher die Berufsgruppe welche am meisten von Corona befallen war/ist (abgesehen vom Ärzte- und Pflegepersonal).

Ich wollte hier aber auch gar keine Zahlenschlacht beginnen. Vielmehr möchte ich mal den Eindruck „von Innen“ schildern. In meiner KiTa hatten wir mittlerweile 7 Corona-Fälle (bei 5 Gruppen). Diese verteilen sich auf eine Küchenkraft, zwei Erzieher und vier Kinder. Diese Zahl finde ich eigentlich schon hoch. Dennoch wirkt sich Corona auf unseren Alltag viel massiver aus. Unsere aktuellen, Corona-Maßnahmen-bedingten, Mehraufgaben sind: Annehmen der Kinder VOR der KiTa-Tür und das damit verbundene Fertigmachen (beim Ankommen und beim Abholen) der Kinder durch uns, das tägliche Desinfizieren sämtlicher Schrankoberflächen, Griffe und Spielzeuge. Bei den Spielzeugen reicht ein einfaches Desinfizieren mit der Sprühflasche nicht aus - nein jedes Teil muss einzelnd abgewischt werden. So zB beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Spiel jede einzelne Spielfigur, oder jeder einzelne Lego-Stein. Jeden einzelnen Lego-Stein desinfizieren? Wie soll das denn gehen fragt ihr euch? Eben … hier haben wir uns gruppenintern geeinigt das Lego auf 3 Kisten aufzuteilen und die Kisten jeden Tag aufzuteilen. Dieses Vorgehen ist von der KiTa-Leitung im Rathaus angefragt worden und postwendend von dort aus verboten worden. Dies ist jedoch unsere einzige Möglichkeit den vorgegebenen Hygiene-Plan wenigstens minimal umzusetzen. Heißt, wir widersetzen uns jeden Tag den Corona-Hygiene-Regeln und schaffen hier mindestens einen Abmahnungsgrund. Zum Desinfizieren der Spielzeuge und dem Umziehen der Kinder kommt zusätzlich noch das Führen diverser Listen (vier verschiedene welche jeden Tag geführt werden müssen). Zudem muss jedes Kind (auch die Älteren) beim Händewaschen begleitet werden.

Letzte Woche haben wir in unserer Gruppe diese Maßnahmen zwei Tage lang zeitlich gestoppt. Der Durchschnittswert dieser beiden Tage ergibt: Die Arbeitszeit dieser extra Regeln beträgt täglich zwei Stunden.

Achso … beim Umziehen müssen die Kinder im Flur begleitet werden. Oftmals bin ich allerdings alleine in der Gruppe. Ich muss mich hier also bewusst entscheiden, wo ich meine Aufsichtspflicht verletze.

Thema Arbeitszeit … weil wir so chronisch unterbesetzt sind und sich dies langfristig auch nicht verbessert (Stichwort Erziehermangel (2030 - werden schätzungsweise 200.000 ErzieherInnen fehlen)), sind Überstunden aktuell verboten. Heißt - beispielsweise das Desinfizieren der Spielzeuge muss erfolgen während die Kinder noch dort sind. So junge Kinder sollten eigentlich gar nicht in Berührung mit scharfem Desinfektionsmittel kommen - die letzte halbe Stunde der Betreuungszeit sind Spielzeuge dann eben verboten.
Unbezahlte Überstunden sind (ebenso wie bezahlte) explizit verboten. Wann findet dann eine Vorbereitung auf pädagogische Arbeit statt? Ganz einfach. Pädagogische und/oder Bildungsarbeit findet einfach nicht mehr statt.

Thema Betreuungsschlüssel … Zusätzlich zum Erziehermangel kommen Corona-Risikogruppen. Während der Corona-Krise habe ich bereits eine Erzieherin erlebt, welche aufgrund ihrer Vorerkrankungen weg von der Arbeit am Kind ins Büro versetzt wurde. Eine weitere hat ihren Erzieher-Beruf langfristig freiwillig gegen das Büro getauscht. In unserer fünfgruppigen Einrichtung musste, aufgrund von Erziehermangel, eine Gruppe komplett aufgelöst werden - wir sind nun also nur noch viergrüppig. Zumindest theoretisch sind wir viergrüppig …. von der Kinderanzahl her sind wir immer noch fünf Gruppen. Verbliebende Erzieher (Eine) der aufgelösten Gruppe und die Kinder wurden auf die anderen Gruppen aufgeteilt. Aktuell sieht es also so aus, dass in unserer Gruppe 24 Kinder auf zwei Erzieher kommen. Von diesen 24 Kindern sind vier unter drei Jahren. Weitere zwei haben akuten Förderbedarf.

Thema Krankheit … Alle Entscheider haben Schiss davor, dass der KiTa-Besuch zum Superspreading-Event wird. Die Folge ist die, dass Kinder mit Erkältungs-, oder Magen-Darm-Symptomen nach Abklingen der letzten Symptome weitere 48 Stunden zu Hause verbringen müssen. Dies gilt jedoch nicht nur für die Kinder, sondern auch für uns Erzieher. Erst vor wenigen Wochen musste jeder Mitarbeiter ein Formular unterschreiben, in dem er versichert sich entsprechend zu verhalten. Bei Zuwiderhandlung sollen entsprechende arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen. Die Folge? Seitdem ist die personelle Lage noch schlimmer geworden. Ende der vergangenen Woche wurden alle Kinder (kommen dürften ca 100) noch von sieben Erziehern betreut. Lediglich einer davon in Vollzeit.

Als Betreuungszeit konnte nur noch 8 bis 14 Uhr angeboten werden.

Die Folge? Verzweifelte Eltern.

Vollkommen verständlich … aber es ging nicht mehr anders.

Und zum Schluss: Thema Corona-Erkrankung …
Ja, die Zahlen in KiTas sind nicht hoch. Fakt ist aber auch, dass hinter jedem Corona-Erkrankten ein Mensch steckt. Erzieher sind kranken Kindern gegenüber schutzlos ausgesetzt. Wir können uns hinter keiner Plexiglasscheibe verstecken, wir können keine 1,5 Meter abstand halten. Eine Freundin von mir, ebenfalls Erzieherin, hat kürzlich Corona (vermutlich in der KiTa angesteckt) zu Hause eingeschleppt. Ihr Mann liegt inzwischen beatmet auf der Intensiv.

Ich möchte euch einfach nur noch bitten, solltet ihr Kinder im KiTa-Alter haben:
Habt Verständnis für die Erzieher. Alle gehen auf dem Zahnfleisch. Wenn es nicht unbedingt sein muss, lasst euer Kind zu Hause - ihr helft nicht nur uns Erziehern, vor allem helft ihr auch eurem Kind.
Sollte das nicht gehen. Zeigt bitte den Erziehern eurer Kinder, dass sie nicht alleine sind. Wertschätzung erfährt man aktuell leider kaum noch. Wie sagte Herr Söder "so schön"? Schulen und Kitas sind aktuell nur noch offen, damit die Eltern arbeiten gehen können.

Eine KiTa ist aktuell kein sicherer Ort.


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