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ostdeutsches Demokratiedefizit (Sonstiges)

pactum Trotmundense, Syburg, Sonntag, 06.06.2021, 13:41 (vor 1055 Tagen) @ Grigori

Das Problem an den Aussagen Wanderwitz' ist, dass er die Entwicklung mit der Sozialisation in der DDR zu erklären versucht. Das ist aber nicht haltbar, weil es vor allem jüngere Menschen sind, die die AfD wählen.

Die Sozialisation ist doch nichts, was mit dem 03.10.1990 einfach aufgehört und ab dem Tag anders ist. Natürlich haben die Menschen ihre Kinder auch entsprechend ihrer Sozialisation erzogen. So etwas ändert sich über Generationen. Es sind auch nicht die Jüngeren (18-29), sondern die sogenannten Mittleren (30-59), die die NSAfD wählen. Wobei ich diese Einteilung für fragwürdig halte, da die eine Gruppe elf Jahrgänge umfasst und die Andere 29. Bei den sogenannten "Jüngeren" liegt die Nazipartei aber komplett im Schnitt des Gesamtwahlergebnisses, bei den sogenannten "Mittleren" deutlich darüber. Lediglich bei den Älteren, der Ü60, können die Blaunen nicht ihr Wahlergebnis wiederspiegeln.

Wie dem auch sei. Wanderwitz hat das formuliert, was die soziologischen Studien über Ostdeutschland aussagen. Das ist aber auch sein Job. Er soll die Situation Ostdeutschlands analysieren und benennen. Nicht er alleine, er ist nur der Kopf des Ganzen.

Außerdem verschweigt er die Rolle der CDU, die das wachsende Nazi-Problem dort stets verharmlost hat und es bis heute tut.

Das ist allerdings ein Kritikpunkt, den er sich in der Tat gefallen lassen muss.

Und, dass die sogenannte Ausplünderung über die Treuhand längst widerlegt ist, habe ich gar nicht mitbekommen. Welche Quelle hast du dazu?

Wo anfangen, wo aufhören? In den letzten 30 Jahren haben zahlreiche Wirtschaftwissenschaftler das Thema bearbeitet. Wenn du in eine Uni-Bibliothek gehst und dir wissenschaftliche Literatur zur Treuhand, dem Aufbau Ost, dem Wiedervereinigungsprozess oder auch der Wirtschaftsentwicklung durchforstest, wirst du von Diplom-Arbeiten über Dissertationen, Forschungsarbeiten und Studien bis hin zu allen möglichen Thesen alles finden, was du brauchst. Es ist nur kein Thema, das populärwissenschaftlich und medial Anklang findet. Es ist weiterhin ein Tabu-Thema, weswegen Wissenschaftsredaktionen darüber zwar durchaus mal berichten, aber es sonst keine große Verbreitung findet.

Bei ZDFinfo lief eine Weile mal immer wieder eine Doku dazu. Ich habe jetzt nicht nachgeschaut ob die vielleicht immer noch in der Mediathek zu finden ist. Aber auch in dieser Doku war deutlich spürbar, dass die Dokumentatoren bloß niemandem auf die Füße treten wollten. Es wurden zwar die Fakten geliefert, aber gleichzeitig milderte man das immer durch Einzelwahrnehmungen von damals Betroffenen ab, die dann aus ihrer zwangsläufig unwissenschaftlichen Blickrichtung das bekannte Narrativ von der "Ausplünderung" bedienten.

Das Problem ist ein emotionales. De facto war die DDR-Wirtschaft bankrott und die einzelnen Betriebe aufgrund jahrzehntelanger Misswirtschaft nicht auf dem freien Markt konkurrenzfähig. Natürlich kauften viele Unternehmen aus Westdeutschland in Ostdeutschland Betriebe auf. Man wollte die Chance nutzen und expandieren. Das Problem war für sehr viele dann nur, dass sich dann oft eine Schließung des Betriebs als einzig sinnvolle Option erwies, wenn trotz massiver Subventionen keine Konkurrenzfähigkeit hergestellt werden konnte. Das wurde (von vielen bewusst) als "plattmachen" von Konkurrenz fehlgedeutet. Dabei bestand für diese Betriebe gar keine Konkurrenzfähigkeit, da sie aufgrund veralteter Produktionsanlagen und überdimensionierter Mitarbeiterstrukturen weder qualitativ, noch preislich am Markt bestehen konnten. Wenn Produkt A in der Herstellung schon 5 Preiseinheiten kostet, aber auf dem freien Markt einen Durchschnittspreis von 3 Preiseinheiten hat, wird es halt schwierig.

Emotional haben das sehr viele Menschen so aufgenommen, als wenn sie nichts "wert" wären. Man hört in den letzten Jahren doch auch immer noch den Kampfbegriff von der "Nichtanerkennung der Lebensleistung". Darum ging es jedoch nie. Niemand spricht den Menschen ihre persönlichen Lebensleistungen ab. Sie lebten nun einmal in einem desaströsem System. Dass man vor sich selbst aber die Vergangenheit rechtfertigen muss, weil man z.B. als Parteimitglied, Spitzel, Mitläufer, etc. zu diesem System beigetragen hat, ist menschlich absolut nachvollziehbar. Es ist für einen selbst natürlich einfacher sich als Opfer böser Mächte bestehend aus Wessis/Treuhand zu betrachten, als anzuerkennen, dass man die gesellschaftliche Transformation hin zu einem demokratischen Politik- und Wirtschaftssystem nicht vollständig bewältigt hat.


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