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Brexit: Boris Johnson packt die Brechstande aus (Sonstiges)

Ulrich, Donnerstag, 29.08.2019, 10:29 (vor 1703 Tagen) @ Sascha

Total überraschend, dass der Aufschub im Mai, um doch noch eine sinnvolle Lösung zu finden, so rein überhaupt nichts gebracht hat.

Die Situation in Großbritannien ist halt völlig verfahren, und das Verschulden dafür verteilt sich auf viele Schultern.

Über Jahrzehnte wurde das Klima zum Thema Europäische Union von Teilen der Politik und der Medien systematisch vergiftet. Jedes Versagen der einheimischen Politik wurde Brüssel in die Schuhe geschoben, Boris Johnson hat auf dem Thema im Grund seine gesamte journalistische Karriere aufgebaut. Vor diesem Hintergrund tauchten dann die populistischen Heilsversprecher auf, die den Austritt aus der EU als die Lösung aller britischen Probleme verkauften. Im Grunde ist das so sinnvoll, wie einen Beinbruch mittels Chemotherapie kurieren zu wollen.

Ursprünglich waren es die rechten Tories, die gegen die EU Stimmung gemacht haben. Auf die Finanzkrise hat der britische Staat aber mit massiven Sparmaßnahmen bei Rentnern, Sozialhilfeempfängern, Schülern und Studenten aus ärmeren Familien, etc. reagiert. Gleichzeitig boomte die Wirtschaft in Teilen des Landes, dies führte zu massiver Zuwanderung aus anderen EU-Staaten. Trotzdem waren und sind die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen in Großbritannien wohl ausgeprägter als in jedem anderen EU-Staat. Auch die Schuld hierfür wurde einseitig der EU zugeschoben, vor allem in den abgehängten Gegenden gab und gibt es auch bei den eher Labour zugeneigten Kreisen eine teils deutliche Mehrheit für den Brexit.

Die britische Politik hat die Anti-EU-Stimmung in weiten Teilen nicht ernst genommen. Der damalige Premier Cameron meinte, es würde ausreichen, über das Thema abstimmen zu lassen. Die Mehrheit wäre eh für den Verbleib in der EU, und dann wäre das Thema für eine Dekade vom Tisch.

Was man aber versäumt hat, das war die Auseinandersetzung mit der Frage, wie so ein Austritt aus der EU praktisch vollzogen werden könnte, welche Szenarien es für die Beziehungen Großbritanniens zur EU nach diesem Austritt geben könnte, und welche Auswirkungen diese Szenarien für Großbritannien selbst hätten. Farage, Johnson und Co. konnten deshalb das Blaue vom Himmel versprechen. Keine Zahlungen an Brüssel mehr, weniger Ausländer im Land, aber angeblich keine nennenswerten negativen Folgen.

Auch Theresa May versäumte dann die Auseinandersetzung mit dieser Frage. Ihr Mantra "Brexit means Brexit" war in erster Linie der Ausdruck völliger Hilflosigkeit. Damit, was der Brexit konkret bedeuten würde, hatte man sich selbst nicht auseinandergesetzt. Und auch die mit der EU verhandelte Vereinbarung ist im Grunde nur eine Übergangslösung.

Und nun sitzt mit Boris Johnson ein Hasardeur in der Downing Street, ein Mann der Va Banque spielt. Er will auf Biegen und Brechen heraus aus der EU, die wirtschaftlichen Folgen sind ihm egal. Und dabei schreckt er noch nicht einmal vor einem "Staatsstreich von oben" zurück.

Aber auch sein Gegenspieler Jeremy Corbyn ist Teil des Problems. Im Grunde wollte auch Corbyn heraus aus der EU, so hoffte er seine sozialistischen Träume verwirklichen zu können. Und aktuell verhindert er, dass sich die Brexit-Gegner auf eine wirksame Strategie einigen können, weil er seinen Hut als Übergangspremier nach einer eventuellen Abwahl von Johnson in den Ring geworfen hat.

Wirtschaftlich sinnvoll wäre für die Briten nur ein geordneter Austritt aus der EU und anschließend ein Modell nach dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz, oder aber ein Verbleib in der EU. Aktuell ist aber ein unregulierter Brexit trotz aller negativen Folgen die mit Abstand wahrscheinlichste Variante.

Aber ob es tatsächlich dazu kommt, ist nicht vollkommen sicher. Boris Johnson hat die Wut sowohl der Brexit-Gegner als auch derjenigen, die einen geordneten Brexit wollen, entfacht. Eventuell wird er ja doch noch kurz vor Toresschluss z.B. von Ken Clarke abgelöst, der dann um eine nochmalige Verschiebung des Austrittstermins bitten könnte. Und theoretisch könnte Großbritannien sogar falls die EU dem nicht einstimmig entsprechen sollte, den Austrittsantrag bis zur letzten Minute zurückziehen. Und dann wäre man wieder am Anfang.


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