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Neu auf schwatzgelb.de: ?Zwischen Helden und Versagern (BVB)

Knüppler17 ⌂, Dienstag, 24.04.2018, 11:26 (vor 2798 Tagen) @ Will Kane

In den langen Jahren meines Lebens als BVB-Anhänger habe ich viele, sehr viele Mannschaften und Spielzeiten erlebt. Ich erlaube mir da einfach einmal eine Einschätzung hinsichtlich dessen, was man gemeinhin ‚Einstellung‘ nennt. Denn da gab es in der Tat in all den Jahrzehnten sehr große Unterschiede. In dieser Saison die Einstellung zumindest der großen Mehrzahl unserer Spieler infragezustellen, halte ich persönlich für nicht richtig. Oder um es so auszudrücken: für falsch.

In den langen Jahren meines Lebens als BVB-Anhänger habe auch ich viele, sehr viele Mannschaften und Spielzeiten erlebt. Die einen waren sportlich überragend, mit sensationellen Einzelkönnern und Mannschaftsspielern - von Sammer und Chapuisat über Amoroso und Rosicky bis zu Koller und Aubameyang könnte man da endlos viele Namen aufzählen. Genauso gut kann man aber auch die Zwischenjahre nehmen, mit den Bergdölmos, Warmuz' oder Buckleys, die sich bei uns verdingten. Manche hochkarätig besetzten Mannschaften verkauften sich weit unter Wert (z.B. 2000, 2003), hier war sicher von Peinlichkeit zu sprechen. Die Mannschaften von 2005 bis 2009 konnten es im Zweifel nicht besser, weil ihnen die sportliche Qualität fehlte.

Und in dieser Saison ist die Einstellung der Spieler selbstverständlich in Frage zu stellen, wie z.B. Roman Weidenfeller in einem Interview recht klar machte. Viel zu viele Einzelinteressen, statt sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Keiner durchgehend auf dem höchsten Leistungsniveau, das mit den höchsten Gehältern aller Zeiten zu erwarten gewesen wäre. Aber auch viel zu viele Ablenkungen und Nebenkriegsschauplätze, die eine konsequente Arbeit verhinderten.

Und das waren eben viel mehr Dinge, als "nur" die Nachwirkungen des Anschlags: Wir hatten diese Saison zwei Top-Spieler, die sich aus ihren Verträgen herausekelten. Das Kloppsche Mantra "Nicht der ballverlierende Spieler ist Schuld, sondern der Mitspieler, der den Zweikampf nicht absichert" ist völlig in Vergessenheit geraten. Hätte Klopp Schmelzer nach dem Derby öffentlich aus der Schusslinie genommen und Sokratis auf seinen eigenen (mindestens ebenso schwerwiegenden) Bock vor dem 0:1 hingewiesen, sah Sokratis diese Woche kalt lächelnd dabei zu, wie der Kapitän in einem Schauprozess rasiert und auf die Tribüne verbannt wurde. Wohlgemerkt in der gleichen Woche, in der Sokratis einen Poker um eine Vertragsverlängerung eröffnete. Als Spieler, der seit Jahren immer mehr Einfluss in der Mannschaft haben und im Mannschaftsrat als Stabilitätsanker gerade auch in Einstellungsfragen dienen sollte. All das hat nichts mit dem Anschlag zu tun. Wenn überhaupt wäre hier zu hinterfragen, ob man einen Spieler wie Schmelzer, der damals tatsächlich im Bus saß, schwere Entscheidungen zu treffen hatte und bis heute sichtlich unter den Folgen leidet, so übel hätte rasieren und mit entsprechenden Kommentaren z.B. seitens der sportlichen Leitung hätte prügeln dürfen. Diese Frage wird hier aber so ziemlich gar nicht gestellt, was mich durchaus daran zweifeln lässt, wie hoch die Moral tatsächlich hängt, die manch einer hier so vor sich herträgt.

Diese Mannschaft als Konglomerat der einzelnen Spieler hat sehr viel mit einer sehr tiefen Verunsicherung zu kämpfen. Die zum einen von dem unsäglichen Anschlag herrührt, zum anderen von einer aus den letzten Spielzeiten stammenden Spaltung des Kaders in verschiedene Gruppierungen stammt. Hinzu kommt die Verunsicherung durch eine riskante Spielweise eines neuen Trainers, die nach anfänglichen Erfolgen zu einer spektakulären Niederlagenserie geführt hat. Das 4:4 im Derby-Hinspiel nach einer 4:0-Führung war kein Versagen, sondern ein Ausdruck von Versagensangst. Hinzu kommen Formkrisen einzelner Spieler sowie das holprige Bemühen, die Vorgaben des neuen Trainers irgendwie umzusetzen. Die Derbyniederlage war für mich keine Frage der mangelnden Einstellung. Die Mannschaft wirkte auf mich völlig verkrampft. Und bei der hohen Niederlage in München, die ich als einzige konkret kritisiere, völlig hilflos. Nichtsdestotrotz befindet man sich unter Stöger auf Kurs CL- Platz.

Das 4:4 im Hinspiel-Derby entstand nicht aus Versagensangst, sondern aus einer Larifari-Einstellung. Jeder wusste, dass man das Spiel haushoch gewinnen würde, das 5:0, 6:0 oder 7:0 würde ja irgendwann schon fallen. Aubameyang nahm es ja auch sehr locker, das sichere 5:0 verpasst zu haben. Der Umgang mit den eigenen Chancen war verschwenderisch und ein paar Gänge wurde runtergeschaltet. Die Versagensangst entstand erst in den letzten 10 Minuten, als der Schalter eben nicht mehr umzulegen war und die Spieler realisierten, dass bei 2 weiteren Minuten auch das 4:5 noch fallen würde. Erst hier waren wir in der self-fulfilling prophecy.

Ansonsten finde ich es spannend, wie oft hier Verweise auf die letzte Saison unter Klopp zu lesen waren, mit der Niederlage in Bremen und dem 17. Platz zur Winterpause oder dem 19. Spieltag auf Platz 18 der Tabelle. Denn hier nahm die ganze Larifari-Einstellung, die in dieser Saison zu sehen ist und auch unter Tuchel schon zu sehen war, ihren Ursprung. In dieser Saison 2014/15 erkannte unsere Mannschaft, dass sie Anfang Februar noch auf dem letzten Tabellenplatz stehen kann, mit einem halbwegs passablen Schlussspurt aber noch in den Europapokal kommen würde. Am Saisonende fehlten tatsächlich nur 3 Punkte bis Platz 5, das Torverhältnis war ja ohnehin besser als das der Leverkusener. Seither ist tief in den Köpfen unserer Spieler verankert: Wir können spielen, wie wir wollen - am Ende wird es schon irgendwie reichen.

Genau diese Einstellung kritisiere ich schon seit langem. Und genau diese Einstellung sehen auch die Fans, die am Samstag so wütend waren. Dass es eben nicht Unvermögen oder die Nachwirkungen eines Anschlags sind, die zu miesen Leistungen führten, sondern der gleiche Schlendrian, der 2014/15 und 2016/17 vorherrschte. Mit zu vielen Spielern, für die die Saison ernsthaft erst im Januar oder Februar beginnt oder die sich im Geiste schon bei der WM oder einem neuen Verein befinden.

Selbstverständlich hat jeder das Recht darauf, Kritik zu üben. Man sollte aber gerade als Unterstützer seines Teams wissen, wann und in welcher Form Kritik woran geübt werden kann. Ja, da unten auf dem Platz stehen junge Millionäre. Ja, sie haben in dieser Saison oft nicht gut, eher schlecht gespielt. Aber nicht aufgrund fehlender Einstellung. Diese Mannschaft kann und muss man sicher auch kritisieren. Aber mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der nicht einfachen Umstände. Diese Mannschaft braucht in dieser Saison mehr denn je unseres Unterstützung. Diese Form der Kritik, wie sie von einigen am letzten Samstag gezeigt wurde, war in meinen Augen in Form, aber auch Inhalt einfach nicht akzeptabel. Das sind keine Gladiatoren dort unten auf dem Platz, bei denen der Daumen gehoben oder gesenkt werden sollte. Sondern es handelt sich trotz aller Millionen immer noch um Menschen, die sich als Einzelne, aber auch als Mannschaft in einer sehr schwierigen mentalen Situation befinden. Wir sollten Sie es spüren lassen, dass wir hinter ihnen stehen. Was eben mitnichten bedeutet, keinerlei Kritik zu üben. Am Samstag ist diesbezüglich mMn aber jedes Maß verlorengegangen.

Es gab keinen, der am Samstag "Scheiß Millionäre" rief. Von den Spielern auf dem Platz, die den Anschlag tatsächlich miterlebt hatten, wurde Sven Bender nach Spielende mit Unterstützung geradezu überschüttet. Genauso wie Marc Bartra wenige Wochen zuvor. Weil die Fans sehr wohl ein Gespür dafür hatten, wie stark dieser Anschlag als Zäsur wirkte und wie wichtig Unterstützung an dieser Stelle war. Wohingegen Trainer, sportliche Leitung und viele, viele Fans in diesem Forum, bei Facebook oder Twitter gar nicht genug davon bekommen konnten, auf Schmelzer einzuhacken und nachzutreten. Jegliche Kritik am Samstag, auch die über die Grenzen der Geschmacklosigkeit hinausgehende, bezog sich auf die Einstellung der Mannschaft.


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