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Ex NATO-Strategin Stefanie Babst und "all in" (Politik)

Ulrich, Donnerstag, 25.04.2024, 12:59 (vor 607 Tagen) @ Zoon

Frau Babst kritisiert am Anfang ihres Artikels, dass die NATO-Staaten schon zu Beginn des Ukrainekrieges ausgeschlossen haben, eigene Truppen einzusetzen bzw. Flugverbotszonen einzurichten. Diese Kritik am Unwillen, in der Ukraine "all in" zu gehen, verwundert mich ein wenig, weil es ja ständige Praxis der NATO-Staaten jedenfalls seit der Kubakrise (1962) war, die direkte militärische Konfrontation mit Russland/Sowjetunion zu vermeiden. Wenn man 60 Jahre lang die direkte Konfrontation wegen den damit verbundenen Risiken vermeidet, ist es nicht sehr glaubhaft, im Jahr 2022 einfach it einer solchen Konfrontation zu drohen, soll heißen, da hätte die NATO schon bereit sein müssen, viel mehr zu tun als nur zu drohen.

Und das gegen die auf dem Papier zweitstärkste Atommacht der Welt. Das vergessen, verdrängen oder ignorieren viele. Eine aktive Verwicklung in einen konventionellen Krieg mit einer Atommacht, das dürfte der Alptraum jedes hochrangigen NATO-Militärs sein.

Mittlerweile gibt es zudem glaubwürdige Meldungen, nach denen Russland nicht nur auf diplomatischem Wege mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hätte. Es soll darüber hinaus im Jahr 2022 tatsächlich Überlegungen gegeben haben, taktische Atomwaffen gegen ukrainische Kräfte einzusetzen, aus die im Rahmen einer Gegenoffensive russische Kräfte geradezu "überrollte".


Sie könnte freilich die Kubakrise als Beleg für eine erfolgreiche Drohung mit direkter Gewalt anführen. Aber diese Drohung war ja gerade deshalb glaubhaft, weil während der Kubakrise den Verantwortlichen die Beherrschung des Risikos aus den Händen zu gleiten, d.h. die Krise und deren Abläufe sich zu verselbständigen drohte. Einer der Schlüsse, die man aus der Kubakrise gezogen hat, war ja gerade der, dass man solche Situationen wegen den damit verbundenen, nicht beherrschbaren Risiken vermeiden sollte.

Bei der Kuba-Krise hatte man in der Tat wohl auch sehr viel Glück. Es gab auf beiden Seiten besonnene Kräfte, die eine Eskalation gerade noch verhindern konnten. Trotzdem war es Zufall, dass das ganze nicht in einem Krieg endete. Die USA hatten z.B. ein konventionell angetriebenes, aber mit nuklear bestückten Torpedos ausgestattetes sowjetisches U-Boot unter Wasser gezwungen. Der Kommandant entschied sich für das Auftauchen, als ihm der Batteriestrom und wohl auch der Sauerstoff auszugehen drohte. Eine Alternative wäre ein Angriff auf die US-Boote gewesen, die die Kuba-Blockade durchzusetzen versuchten. In der sowjetischen Botschaft in Washington hatte man bereits begonnen, Geheimpapiere zu verbrennen.


Frau Babst kritisiert natürlich noch viel mehr "rote Linien" als die von mir genannten. Aber dass sie auch diese (Bodentruppen, Flugverbotszonen) kritisiert hat, fand ich doch eher problematisch als nachvollziehbar.

Der Frau dürfte es primär um die Vermarktung ihres Buches gehen. Sie war als damalige Deputy Assistant Secretary General of the Public Diplomacy Division zwar nominell die höchstrangigste deutsche NATO-Mitarbeiterin, aber trotzdem dürfte ihr Einfluss begrenzt gewesen sein, insbesondere was primär militärische Projekte anging.


Ansonsten fällt bem Lesen des Interviews auf, dass sie bei ihrer Kritik an den Regierungen doch stark auf den Ukrainekrieg fokkusiert ist. Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben von Regierungen in der Außen- und Sicherheitspolitik die verschiedenen Risiken managen zu müssen, die von unterschiedlichen Krisenherden und Entwicklungen ausgehen, insb. zu verhindern, dass die verschiedene Konfliktherde dieser Erde zu einem Großkonflikt verklumpen.

Vor allem war sie 2022 bereits zwei Jahre aus dem Job heraus, aus erster Hand dürfte sie nichts mitbekommen haben.

Alle Entscheidungen der NATO dürfte primär von den USA vorgegeben worden sein, und das sicherlich nicht leichtfertig. Es fällt beispielsweise im Nachhinein auf, dass die USA ihre Unterstützung stufenweise gesteigert haben. Zunächst waren es primär leichte Panzer- und Flugabwehrwaffen, dann kamen Artilleriegeschütze und -Munition hinzu, später auch ältere Raketenartillerie. Hier dürfte sicherlich der Gedanke ausschlaggebend gewesen sein, wie weit man jeweils gehen könnte, ohne eine direkte Gegenreaktion Russlands zu riskieren.


Geht man zum Beispeil, wie von Babst gefordert, in der Ukraine "all in", könnten möglicherweise auch andere Staaten in diesen Konflikt an der Seite Russlands eingreifen, um ihren Partner Russland zu stärken. Ist Rußland wirklich so isoliert, dass dieses Szenario ausgeschlossen ist?

Polen und baltische Staaten grenzen an den russischen Vasallenstaat Belarus, hier könnte man ein durchaus massives Bedrohungsszenario aufbauen. Ein Krieg könnte auf den Nahen Osten überspringen. Dort ist der Iran ein enger Verbündeter Russlands. Sperrt der die Straße von Hormus, dann schießen weltweit die Preise für Rohöl und LNG durch die Decke.


Mit einem "all in" in der Ukraine könnte auch eine Schwerpunktverlagerung der (us-amerikanischen) Kräfte verbunden sein, die andere Regionen (Naher Osten, Korea, Asien/Taiwan) entblößen und somit den Ausbruch von Kriegen in diesen wahrscheinlicher machen würden. Sind die NATO-Staaten dann auch bereit, die USA zu unterstützen, wenn diese versuchen, die Decke auf diese Konfliktherde wieder rüberzuziehen und was bedeutet dies für die Europäer, die sich in der Ukraine (wo die Decke dann fehlen wird) "all in" engagiert haben?

Im November dieses Jahres sind in den USA Wahlen, von denen viele sagen, dass sie eine schicksalhafte Bedeutung für die westlichen Demokratien haben könnte. Die direkte militärische Konfrontation mit Rußland könnte Donald Trump in die Karten spielen, der von sich aus sagen kann, dass es mit ihm eine derartige Konfrontation niemals gegeben hätte. Europa könnte so seinen amerikanischen Schutz schon 2025 verlieren.

Das sind alles Punkte, die (westliche) Regierungen berücksichtigen müssen und eher gegen ein "all in" sprechen.

Ein "All in" wird es definitiv nicht geben, solange Russland seinerseits nicht durch einen Angriff auf NATO-Territorium eskaliert.


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