schwatzgelb.de das Fanzine rund um Borussia Dortmund
A- A+
schwatzgelb.de das Fanzine rund um Borussia Dortmund
Startseite | FAQ | schwatzgelb.de unterstützen
Login | Registrieren

echt traurig... (Politik)

Blarry, Essen, Montag, 11.10.2021, 23:56 (vor 899 Tagen) @ Frankonius

Die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den moderneren, liberaleren Städten und dem reaktionären Land liegen hauptsächlich an der prekären wirtschaftlichen Situation außerhalb der Großstädte und Tourismusregionen.

Im Dorf meiner Großeltern, in Schlesien, an der tschechischen Grenze gelegen, das Erika Steinbach am liebsten wieder mit seinem früheren deutschen Namen ansprechen würde, begann es bereits Mitte der 1980er Jahre. Wer sich ein Flugticket, eine Busfahrt oder eine Tankfüllung leisten konnte, wer jung war und arbeiten konnte, hat das Weite gesucht. Weil es spätestens nach der Annäherung an den Westen keine Arbeit mehr gab und keine Perspektive. Meine Großeltern hatten nichts mehr zu gewinnen oder zu verlieren: beide mit nach heutigen Maßstäben bemitleidenswerter Rente, aber die hatten ihr Haus, den Hof, den Obstgarten am Hang, den Acker mit frischem Gemüse, und Pilze und Brennholz aus dem Wald nebenan.

Für ihre Kinder hingegen gab es da nichts. Meine Mutter ist 1989 mit mir rüber, ein Onkel von mir bereits ein paar Jahre früher nach Kanada ausgewandert. Es gab im Dorf kaum eine Familie, die nicht Kinder im Ausland hatte. Zurück blieben die Alten, und das Dorf blieb, wie es immer war. Als viele der Ausgewanderten später zurückkamen und sich von ihrem Erarbeiteten Häuser bauten, fanden sie sich plötzlich in einer Zeitkapsel wieder - und galten plötzlich als Neureiche, denen man den Dreck unter den Fingernägeln nicht gönnte, obwohl man irgendwo doch im gleichen Boot saß.

Und so ist es dort bis heute. Wer jung ist, macht sich aus dem Staub, in eine liberalere Welt. Sei es ins Ausland, sei es in die Großstadt, nur weg vom Dorf. Wer jung ist und dort bleibt, bekommt nichts von der Welt des 21. Jahrhunderts mit. Da gibt es keinen Influx moderner Geisteshaltungen, und ohne die gibt es keine wirtschaftliche Hoffnung. Klassischer Deadlock.

Heute habe ich beruflich jeden Tag mit Menschen aus meiner gebürtigen Heimat zu tun. Die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Herkunftsmilieus sind riesig. Ist mir mehr als einmal untergekommen, dass jemand Ende 20 und vom Land kommend etwas vom bösen Juden und gefährlichen Impfstoff erzählt, während der Warschauer Anfang 60 kein Problem mit LGBTQ-Menschen hat, weil er in den 90ern bei der Arbeit in Manchester welche kennengelernt und mit ihnen gesoffen hat. Da kommen Situationen und Gespräche zustande, nach denen man sich echt kneifen muss.

Ist halt ein Land der Gegensätze...


Antworten auf diesen Eintrag:



gesamter Thread:


1215995 Einträge in 13539 Threads, 13748 registrierte Benutzer Forumszeit: 28.03.2024, 12:16
RSS Einträge  RSS Threads | Kontakt | Impressum | Nutzungsbedingungen | Datenschutzerklärung | Forumsregeln