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Kloppos alter Werbespot... (BVB)

Blarry, Essen, Sonntag, 07.04.2019, 19:27 (vor 1860 Tagen) @ Redaktion schwatzgelb.de

... mit der "Angst vorm Verlieren", die als Antrieb und Motivation im ewigen psychologischen Wettstreit mit der "Lust am Gewinnen" steht. Kennt ihr den ollen Schinken noch?

Genau dafür war die Nummer gestern der Anschauungsunterricht. Das war unsere mentale Perspektive der gesamten Rückrunde auf ihr Negativstes konzentriert, unsere Herangehensweise ans Fußballspielen seit Januar in 90 Minuten verpackt.

Das ist zum Teil sicher eine mentale Problematik; die sieben oder wie viele Punkte auch immer es waren Vorsprung waren Gift. In so einer völlig unerwarteten Position beginnt zwangsläufig das Nachdenken nicht ans ominöse nächste Spiel, sondern an das, was man verlieren könnte, obwohl man außer einem Puffer noch überhaupt gar nichts in der Hand hält. Hat in so einem Fall meiner Meinung nach noch nichtmal was mit jungen und erfahrenen Spielern zu tun; im Gegenteil denke ich, dass 19jährige Knilche mit so einer Tabellensituation viel lockerer umgehen als ein Marco Reus, dem nicht mehr viele Jahre aufm Rasen bleiben und der Gefahr läuft, als Sportler "unvollendet" zu bleiben. Ich sehe bei uns keine Angst vor den Bayern im Speziellen, sondern vor dem Verlieren einer zu greifbaren Meisterschaft.

Wo man natürlich darauf zu sprechen kommen muss, dass Favres Philosophie von Fußball bei aller verdienten Wertschätzung nicht unbedingt Selbstvertrauen in die Spieler injiziert. Die Ergebnisse, die zweifelsohne über weite Phasen der Saison sehenswert sind, schon. Aber ein 2:0 in der Nachspielzeit von vor sieben Tagen lässt sich hier und heute nur schwer auf den Rasen bringen.
Favres auf dem Papier ja völlig paradoxe Spielanlage - tief stehen, am eigenen Strafraum verteidigen, nach Ballgewinn langsam und kontrolliert aufbauen, auf sehr gute Torchancen hinarbeiten - funktioniert gegen schwächere Mannschaften wirklich besser, als ich vor der Saison befürchtet habe. Doch gegen bessere Gegner, die sich darauf vorbereiten konnten, bricht es einfach zusammen. Siehe Tottenham, siehe Bayern. Da ist nämlich "tief stehen und langsam spielen" Gift, solche Gegner werfen noch mehr ins Spiel gegen den Ball, lassen sich nicht mehr ohne Mühe ausspielen, erobern den Ball früh - und wenn man währenddessen mit dem Ball selber noch so tief in der eigenen Hälfte steht wie vor dem 0:2 gestern, passiert sowas wie das 0:2 gestern. Das ist eine systemische Schwäche, die wir aber in Kauf nehmen können und meiner Meinung nach auch müssen, denn unsere Gegner sind eben nur selten Bayern München und andere CL-Spitzenklubs. Gegen die 08/15-Bundesligakonkurrenz ist so ein low-risk-medium-reward-Ansatz so erfolgsversprechend, wie unsere bisherige Punkteausbeute zeigt.

Um den Bogen vom Taktischen zum Psychologischen zurückzufinden: wie gesagt lässt dieses "passiv verteidigen, langsam angreifen" nicht gerade die allerdicksten Eier aus dem Hosenbein rutschen. Es ist schon eine sehr kalkulierte Spielweise, eher Oper als AC/DC. Nichts, was die Spieler im Spielertunnel sagen lässt "los, wir zerquetschen die Roten jetzt wie Wanzen!". Nichts, was eine Denkweise "nach diesem Spiel wollen wir fünf Punkte Vorsprung haben!" fördert. Nun kann man das auf zweierlei beurteilen: natürlich haben wir viele junge, rohe Spieler, die einer gründlichen profifußballerischen Ausbildung noch entbehren, und für die ein ruhiger Lehrmeister Lucien Favre das Beste ist, was ihnen in ihrer ersten Profistation passieren kann. Dagegen habe ich aus Sicht des Ausbilders nichts einzuwenden. Aber andererseits sind das immer noch junge Fußballer, teils mit Wurzeln im Straßenfußball, die ihre Wildheit und Ungezähmtheit immer noch in sich tragen und sich auf dem Feld womöglich nach Action und Chaos sehnen - das kloppsche Chaos, nicht das der beiden Peters, bitte. Die gerne den Gegner in wilde Unordnung bringen würden, um ihre fußballerischen Instinkte auszuspielen. Die ein allzu striktes taktisches Korsett womöglich in ihrem Nutzen beschneidet, den sie für die Mannschaft tragen.

Was in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss, ist Favres radikale Weigerung, Angriffspressing spielen zu lassen. Pressing ist immer noch die Essenz der Borussia, im Sommer wurden mit Delaney und Wolf zwei Spieler geholt, die ihren Wert praktisch komplett in der Arbeit gegen den Ball haben. Fortgeschrittene Versionen von Sven Bender und Kevin Großkreutz. Sogar bei den Frisuren. Favre lässt mit dem 4-4-2/4-2-3-1 sogar den idealen Kompromoss zwischen defensiver Absicherung mit Doppelsechs und ausreichend vielen offensiven Pressingspielern spielen, um hohe Ballgewinne zu fördern, gerade gegen Guffelgegner, die im Abwehrzentrum nicht zwingend die nötige Passsicherheit haben, sich spielerisch aus dem Anlaufen zu befreien.
Natürlich dauert es im Zweifel mehr als eine Sommer- und eine Winterpause, um wirklich effektives Pressing aufzuziehen. Kostet immer mehr Abstimmung und blindes Verständnis als stur am eigenen Strafraum zu stehen. Aber andererseits zeigen selbst technisch bescheidene Tretertruppen wie Hoffenheim und Frankfurt seit mehr als einer Saison, dass "Vollgasfußball" immer noch Ergebnisse liefern kann und gerade wieder ein klein wenig in Mode ist. Ich verstehe nicht, wieso wir uns dieses spielerischen Elements so sehr verweigern. Ich rede nicht von wildem Anrennen ohne Sinn und Verstand, sondern von kontrollierten, koordinierten und wohldosierten Tempowechseln im Spiel gegen den Ball. Detailarbeit, in die Favre eigentlich verliebt sein müsste.

War jetzt doch weniger Geblubber über das olle Spiel gestern als ein paar allgemeine Beobachtungen der letzten Wochen und Monate, die ich schon länger teilen wollte, aber nie wirklich dazu kam.

Oh, und ich werde mich öffentlich und aktenkundig vor Lachen bepissen, wenn wir trotz des Ergebnisses gestern das Ding trotzdem noch wuppen. So.


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