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Meine Gedanken zur "Eskalation" der letzen zwei Tage... (Spieltage)

Poeta_Doctus, Lands Between, Sonntag, 01.03.2020, 17:29 (vor 2124 Tagen) @ CHS

Ich bin wirklich ziemlich sprachlos, ob der Hysteriewelle der letzen zwei Tage zum Thema Hopp(ensohn). Deshalb habe ich meine Gedanken mal niedergeschrieben (mehr oder minder sortiert), und lasse sie hier so stehen.
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So, der DFB positioniert sich nun also als große moralische Instanz, die sich gegen den Untergang des Abendlandes stemmt.
Vorab: Ich halte Fadenkreuz-Plakate für widerlich, H*hrensohn-Beschimpfungen für infantil und beides v.a. für nicht zielführend. Man mag sich fragen, warum so ein Ton sein muss und warum es nicht auch sachlich geht. Die Frage beantwortet sich jedoch relativ leicht, wenn man bedenkt, dass der werte Herr Hopp quasi jegliche Kritik an ihm oder seinen Projekt Hoffenheim mit Rassismus und Diskriminierung gleichsetzt (so geschehen z.B. gegenüber dem damaligen Mainz-Manager Heidel, den er gleich im gleichen Zug mitverantwortlich für jegliche Gewalt machte, die es gegenüber Fans der TSG hypothetisch geben könnte).
Das der DFB die Situation ausschlachtet, ist verständlich: Nicht nur kann man sich schützend vor einen potenten Geldgeber stellen, man kann sich auch moralisch erheben über das niedere Gesindel und seine arg korruptionsgeschundene Marke aufpolieren.
Das die Medienlandschaft bei diesem Schmierenstück aber so bereitwillig den Steigbügelhalter mimt, ist schon eher erschreckend.
Beleidigungen ala "Hu*ensohn" hat es im Stadion schon immer gegeben. Hopp ist weder der erste noch vermutlich der letzte, der diese Schmähung wird ertragen müssen. Früher wurden so alle Nase lang wahlweise die Gegner, eigenen Spieler, Schiedsrichter, Funktionäre oder gleich der ganze gengenüberliegende Anhang verunglimpft (man Frage mal bei U. Hoeness nach). Nun mag man argumentieren, dass ein "das war schon immer so" keine hinreichende Rechtfertigung für die Fortsetzung solcher Schmähungen ist. Es gibt ja haufenweise Handlungen und Bezeichnungen, die früher ok waren, aber heute zurecht nicht mehr akzeptiert werden. Dennoch ist dieser Aspekt zu berücksichtigen, wenn von DFB und Hofmedien von „völlig neuen Eskalationen“ und noch „tieferen Tiefpunkten“ die Rede ist. Es ist schlicht falsch.
Zudem darf man durchaus hinterfragen, warum gerade Dietmar Hopp auf einmal im Stadion sakrosankt sein soll. BVB-Fans dürfen sich alle 7 Tage als "BVB-Huhrensöhne" schmeicheln lassen, ohne das der Schiri da zweimal hinhört. Noch gravierender tritt die Doppelmoral aber zum Vorschein, wenn man den Auftritt des DFB und seiner ganzen Funktionärs-Trainer-Manager-Blase als strahlend weißer Ritter mit dem Auftreten beim Thema Rassismus vergleicht. Da darf der gelsenkirchener Fleischbaron in einer offiziellen Rede übelste rassistische Klischees verwursten und die halbe Liga springt dem armen Mann zur Seite. Da wird ein Torunarigha vor gefühlt nicht mal einem Monat rassistisch beleidigt, bis ihm auf dem Platz die Tränen kommen. Und wie reagiert der blütenreine DFB? Na klar, gelbe Karte gegen Torunarigha wegen Meckerns. Das Vorgehen gegen Rassismus entspricht reinen Lippenbekenntnissen. Die Wahrheit ist nämlich diese, dass es dem DFB scheißegal ist, wer wen wo wie beleidigt, so lange er dadurch nicht unter Handlungsdruck gerät. Torunarigha ist finanziell nicht wichtig für den DFB, Hopp schon. Also hofiert man diesen medienwirksam als armes, unschuldiges Opfer (dessen Ablehnung jedes Dialogs und Aufstellen von Schallkanonen im Gästeblock werden natürlich nicht weiter thematisiert).
Geradezu eklig ist dann aber, was der sogenannte Sport"journalismus" daraus macht. Kein Hinterfragen, kein kritisches Wort. Man mag sich z.B. fragen, wo gerade jetzt die um sich greifende Kritik an bzw. Beleidigungen gegen Hopp herkommen. Seitens der Hofbereichterstattung bekommt man darauf keine Antwort. Es handle sich ja letztlich nur um die Selbstdarstellung weniger Verwirrter. Nirgend erfährt man, dass der Hintergrund vermutlich eher dieser ist, dass der DFB – der noch vor wenigen Monaten die Abschaffung von Kollektivstrafen als großen Erfolg des Fandialogs verkauft hat – vorherige Woche den Anhang des BVB für zwei Jahre aus Sinsheim verbannt hat. Wie nannte man das noch gleich? Achja, Kollektivstrafe. Wo wir wieder beim Thema Lippenbekenntnisse sind. Diesen Bezug herzustellen dürfte nicht schwerfallen, weisen doch mehrere Plakate direkt darauf hin. Diese zusammenhänge scheinen große Teile der Sportberichterstattung aber entweder zu überfordern oder werden absichtlich nicht erwähnt, weil man dann nicht so gut skandalisieren könnte.
Stattdessen feiert man die Unterbrechung eines Spiels als großes Signal der Menschlichkeit, als Sieg über ein paar Unverbesserliche, klopft sich selbst für seine ausgesprochene Humanität auf die Schulter und generiert sich als große Weltverbesserer. Während z.B. im Mittelmeerraum zwischen der Türkei und Griechenland gerade tausendfach persönliche Apokalypsen stattfinden, die keinen zu interessieren scheinen.
Man könnte jetzt noch tiefer gehen, beispielsweise die abstoßende Vermengung von Kritik am DFB und Beleidigungen gegen einen Milliardär mit dem Amoklauf eines geistesgestörten Rechtsradikalen thematisieren, aber die Stoßrichtung ist klar: Hier der arme Hopp als Opfer („Wenn ich nur wüsste, was die von mir wollen!“), der integre DFB als Verfechter von Recht und Moral, dort die moralisch bankrotten Verwirrten, Nazi-Amok-Klimaleugner und Anarchos, die die Welt einfach nur brennen sehen wollen, und auf die man dementsprechend auch keine Rücksicht nehmen oder ihnen Gehör schenken muss. Alles gefällig begleitet von KickerBild & Co.
Man darf gespannt sein, wie es weiter geht. Ob die Ansage des DFB („bei weiteren Schmähungen Spielabbruch!“) so schlau war, sei dahingestellt. Er setzt sich damit nicht nur selbst die Pistole auf die Brust, mehr noch gibt er die Pistole den sogenannten „Chaoten“ in die Hand, geladen und entsichert und flüster ihnen lassiv ein „Du traust dich doch eh nicht!“ zu. Keiner kann in die Zukunft sehen, aber es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Fans (übrigens weit mehr als nur die fiesen Ultras) dadurch mundtot machen lassen. Die eigenen Inkonsequenz ließ der DFB schon beim Spiel Bayern-Hoffenheim durchblicken. Medial mit großem Tamtam wurde da das Spiel unterbrochen, der Spielabbruch angekündigt, man lag sich solidarisch im Arm und hatte endlich die Welt vereint. Dass die Schmähungen teils aber auch nach Wiederanpfiff weitergingen, diese Info sucht man bei den Sportmedien vergeblich. Einen Spielabbruch gab es übrigens auch nicht. Auch nicht am folgenden Tag in Berlin, wo das Spiel sogar mehrfach unterbrochen worden ist. Abbruch Fehlanzeige. Ist ja auch verständlich, ein Spielabbruch kostet den DFB Kohle. Man stelle sich vor, am nächsten Spieltag würden 4 oder 5 Partien abgebrochen werden. Es immenser Verlust sowohl finanziell als auch hinsichtlich des Brands „Bundesliga“ wäre die Folge. Ein Verlust, den der DFB nicht bereit sein wird zu tragen. In diese heikle Lage hat die deutsche Fußballmafia sich durch die Hofierung Hopps, die Ankündigung einer null-Toleranz-Politik und nicht zuletzt durch den Wortbruch an den eigenen Fans selbst gebracht. Das es dem DFB übrigens nicht um Beleidigungen geht, zeigt das Vorgehen beim heutigen 3.-Liga-Spiel Meppen – Duisburg, wo im Publikum folgendes – von den Vereinen im Vorfeld genehmigtes, weil von der Meinungsfreiheit gedecktes – Plakat ausgerollt wurde:
„"Hat der Dietmar genug Kohle
Wird zu seinem Schutz und Wohle
Von Leuten deren Wort nichts wert
Mal wieder jemand ausgesperrt.“
Wie regierte der Schiedsrichter? Klar, Spielunterbrechung und Androhen von Abbruch. Denn es geht nicht um Beleidigungen. Es geht darum, jede Kritik auszumerzen. Es geht darum, nur noch höriges, gut vermarktbares Klatschpublikum auf den Rängen zu habe. Manche nennen es auch eine Gentrifizierung des Fußballs.
(Fortsetzung folgt)


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