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EU ist einfach schlecht konstruiert (Sonstiges)

Wickiborusse, Dortmund, Sonntag, 19.07.2020, 00:13 (vor 1377 Tagen) @ Voomy

Um mal aus meinem Leben zu erzählen:

Bis vor wenigen Jahren war ich sehr, sehr pro-EU. Beinahe schon einer von den Fundamentalisten, der der Meinung war, dass die Rettung des christlichen Abendlandes einzig und alleine dadurch passieren kann, dass wir uns mehr Föderalisieren. EU-Land wann?! Das basierte vor allem auf einer sehr kosmopolitanen Lebenseinstellung, in der ich der Meinung war, dass wir ja alle Europäer sind. Grenzen sind absolut in Ordnung aber wir sind besser, wenn diese Grenzen mehr wie Bundesländer und weniger wie Länder sind. Das war bevor ich mich zum einen für eine ganze Weile in Brüssel für Jobs befand und zum anderen in einer sehr sehr großen Online Community unter sehr vielen "Europäern" bewegt habe.

Das es Reformbedarf gibt, keine Rede. Das diese Typen im Osten gerade massiv nerven, klar.


Es gibt keinen Reformbedarf, die EU hat mehrere schwerwiegende Geburtsfehler. Die wollte man mit dem Vertrag von Lissabon nachbessern und hat die Situation damit nur noch schlimmer gemacht. Du sprichst die Einstimmigkeit bereits selbst an. Aber selbst von den fundamentalen Schwachstellen ab (wer kam auf die Idee, dass es jemals Einstimmigkeit in kritischen Fragen geben würde?!), basiert das gesamte EU-Prinzip darauf, dass die großen Nationen ausreichend Druck auf kleine Nationen ausüben können, damit das Gesamtwerk funktioniert. Das klappte auch bis vor einigen Jahren. Eigentlich bis zum Rutsch zurück in die Nationalstaaten.

Profitiert Deutschland davon, dass sie ein Veto haben? Aber mit Sicherheit. So wie Deutschland unfassbar von der EU und dem EURO an sich profitiert. So wie es übrigens auch Frankreich tut. Nur auf andere Weisen. Die EU hat so viel französische Gesetzgebung und Standards drin, kein Wunder dass alle in Brüssel Macron scheiße finden.

nsonsten darf man sich bei vielen Punkten bei Frau Merkel bedanken. Die hat nämlich jahrelang Macon auflaufen lassen, so dass es zu keinen Reformen und neuen Ansätzen kam. Hätte man da schon zusammen etwas aufgeräumt, würde sich das jetzt nicht so kulminiert darstellen.


B-B-B-Bullshit. Nichts für Ungut. Macron hatte nie vor die EU zur reformieren oder zu revolutionieren, das war genauso Populismus, eben nur aus einer anderen politischen Strömung. Was Merkel blockiert hat, war eine weitergehende Machtverschiebung nach Brüssel. Und das musste sie unabhängig davon tun, dass sie es vermutlich persönlich gut finden würde. Es gibt in Deutschland simpel keine Mehrheit dafür, noch mehr Kompetenzen an die EU zu vergeben. Und daran hat vorrangig die EU schuld und nicht der Rechtspopulismus. Niemand auf der Welt ist so beschissen darin, die eigenen Erfolge zu verkaufen, wie die EU.

Man könnte nämlich auch von Deutschland aus die Kerle in Polen und Ungarn trocken legen. Die EU soll - richtigerweise - hier Einhalt gebieten, aber deutsche Firmen dürfen dann weiter gerne v.a. Ungarn als verlängerte Werkbank nehmen. Wenn alle Firmen in Deutschland mal anfangen ihre Produktion aus Ungarn heraus zu verlegen, würde dem Orban ganz schön die Düse gehen.


Sorry, aber auch das ist einfach nicht richtig. Ungarn lebt mit Sicherheit nicht von europäischen Unternehmen, die haben ein sehr isoliertes Bruttoinlandsprodukt. Und Deutschland ist mehr auf polnische Arbeiter in der Pflege, im Handwerk und in prekären Jobs angewiesen als Polen auf uns angewiesen ist. Es ist auch nichts verwerfliches daran, dass wir so viele Polen in Deutschland beschäftigen. Polen ist inzwischen so weit entwickelt, dass sie, anders als Rumänien und Bulgarien, niemanden als Lohnsklaven herschicken müssen.

Ohne die Milliarden aus dem Fonds ist in Italien, Spanien, Portugal und anderen Ländern Schicht im Schacht. Und das trifft in der verflochtenen Wirtschaft auch die angeblich so sparsamen Ländern.
Die Insolvenzwelle würde dann noch härter, die Banken - die zumindest in Spanien deutlich besser da stehen als die deutschen - würde es dann auch mitreissen. Neben der Realwirtschafskrise hätten wir dann eine Finanzkrise. Die EZB würde zwar alles versuchen, aber irgendwann ist auch sie am Ende ihrer Mittel.


Es gilt ganz grundsätzlich die so schmächlich genannten PIGS voneinander zu trennen. Portugal ist schon seit Jahren auf einem großartigen Konsolidierungskurs und auch Spanien war auf einem guten Weg. Griechenland hat vor Corona (und übrigens auch während Corona) nur positive wirtschaftliche Schlagzeilen geschrieben. Sei dir sicher, dass die EU derzeit andere Gespräche führen würde, wenn es darum ginge, Spanien, Portal und Griechenland zu helfen. Aber niemand will Italien helfen. Zurecht! Italien ist bis in die Grundfesten kaputt. Und damit meine ich nicht den populistischen Blödsinn, dass sie zu wenig arbeiten. Sie sind das Opfer von 30 Jahren Misswirtschaft, die sie selbst in die Ämter gehoben haben. Italien wäre ohne die EU schon drei Mal in den letzten Jahren in einen Staatsbankkrott gerutscht. Und jetzt soll man einem Land finanzielle Zugeständnisse machen, das vermutlich Ende 2021 AUCH von Rechtspopulisten regiert wird? Die Vorbehalte sind mehr als verständlich.

Es ist ein Wunder, dass die EU Corona überlebt habt, denn sie hat gezeigt, dass es die EU nur auf dem Papier gibt. Im Angesicht der Krise entwickelt sich Europa zurück zu einem Konstrukt der Nationalstaaten, das seine gegenseitigen Verpflichtungen vergisst und in dem alle sich selbst die Nächsten sind. Unter aktuellen Herausforderungen wie dem EU-Budget und der Corona-Krisenfinanzierung wird man sich vielleicht noch bis zur nächsten Wahl retten.
Allerdings ist für jeden sichtbar geworden, dass die EU in seinen derzeitigen Strukturen nicht mehr lebensfähig ist. Derzeit ist es wahrscheinlicher, dass wir in den nächsten 20 Jahren ein Ende der EU sehen als eine Reformierung.

Für mich persönlich hat sich der Wechsel in der Haltung zur EU in den letzten Jahren jedenfalls verfestigt. Will ich mit Ländern wie Polen, die gegen jeden Wert der EU stehen, assoziiert werden? Definitiv nicht. Will ich in einer EU leben, in der man nichts gegen Orban in Ungarn machen kann? Absolut nicht. Die EU und ihre Mitglieder haben seit dem Ende des Brexit alles dafür getan, die EU-Skepsis in ihren Mitgliedsländern steigen zu lassen. Dabei war der Brexit eine historische Chance, denn sie hat die EU zusammengeschweißt und gezeigt, dass wir uns brauchen. Trotzdem wurde nicht ein einziger richtiger Schluss daraus gezogen. Stattdessen hat man sich mit dem Artikel 13 (17) Drama sogar mitten in der Brexit-Phase hingestellt und eine ganze kommende digitale Generation gegen sich aufgebracht. Die EU hat es nicht anders verdient, als unter ständig steigender Skepsis zu leben. Und ehrlich gesagt wäre ein Zusammenbruch und ein Neuaufbau in meinen Augen sinnvoller als das Konstrukt, das wir derzeit haben.

Und das schlimme ist: Ein weiter so wird dazu führen, dass die EU weiter expandiert und sich mit Ländern wie Serbien und Albanien die nächsten schwarzen Schafe ins Konstrukt holt.

Sag mal. Gehört das inzwischen zur Einstellungsvoraussetzung in Brüssel, über die bösen rechten Staaten zu schimpfen?
Eins sollte klar sein. Weder Ungarn noch Polen haben zur Finanzkrise beigetragen. Ich denke, da wirst du mir zustimmen.

Das Kaczynski und Orban nicht gerade eine europafreundliche Politik machen, sehe ich auch so. Insbesondere Kaczynski ist mir ein Dorn im Auge, weil er seine Antipolitik über Gegner von Aussen definiert. Passt halt zum polnischen Opfergehabe.
Andererseits finde ich diese Politik recht wirkungsvoll, weil sie Merkels Politik entgegensteht. Sie ist quasi ein Korrektiv. Ich gebe zu, dass ich ein absoluter Gegner der Migrationspolitik von 2015 bin. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ohne Orban und Kacziynski damals die Dämme gebrochen wären.

Lange Rede, kurzer Sinn: es ist ziemlich abstrus, über rechte Regierungen herzuziehen und sich gleichzeitig über Beitrittsbestrebungen von Albanien und Co. zu mokieren, weil sie keine Standards haben.
In einem sind wir uns einig. Die EU gehört reformiert. Da passt momentan gar nichts zusammen.


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