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Wie kürzlich in der NZZ (Fußball allgemein)

Nolte, Montag, 17.02.2020, 12:19 (vor 1530 Tagen) @ Nietzsche

Danke für die Erklärungen!
Was ich an den vorherigen Beiträgen schwierig fand, war Folgendes:

Ich schrieb: "Natürlich wird niemand bezweifeln, dass sich das "durchschnittliche Aussehen" von Menschen in China, Mosambik und Deutschland unterscheidet."

Worauf du in deinem mir antwortenden Beitrag die folgenden Sätze geschrieben hast: "Inwiefern kann man das besser wissen? Ich kann doch nicht einfach so tun, als sähen Norweger in der Regel nicht anders aus als Japaner. [...] Du kannst das doch nicht dadurch verhindern, dass Du objektive Tatsachen (Menschen einer Region sehen in der Regel so und so aus) einfach leugnest. [...] Aber nicht mehr wahrzunehmen, dass Norweger in der Regel anders aussehen als Japaner, ist doch unrealistisch."

Das fand ich dahingehend schwierig, dass es
(1) implizit mir unterstellt, ich würde das unterschiedliche "durchschnittliche" Aussehen verschiedener Menschen in unterschiedlichen Weltregionen leugnen, und
(2) unterstellt, die Frage nach dem Wahrheitsgehalt dieser Annahme des unterschiedlichen Aussehens wäre der Kern und die Lösung des Problems.

Dabei geht es um etwas Anderes.

Wie bereits gesagt, und hier sind wir uns ja einig: In verschiedenen Regionen der Welt sieht die jeweilige Mehrheit der Menschen unterschiedlich aus. Wenn du nach Norwegen fliegst, werden dort die meisten Menschen anders aussehen als die Mehrzahl der Menschen, denen du in Japan begegnen würdest. Das kann nun wirklich niemand leugnen, der offenen Auges durch die Welt (oder durch's Internet) geht. Genauso ist es natürlich, wenn mir jemand sagt "Stell' dir mal eine typische Japanerin vor." Die sieht in meiner Vorstellung anders aus als eine "typische Norwegerin", die ich mir im Anschluss ausmalen soll. Oder die "typische Deutsche". So weit, so simpel.

Die kritische Frage ist doch aber, wie wir mit dieser Tatsache umgehen: Laufen wir mit diesen Stereotypen durch die Gegend und betrachten grundsätzlich Jeden, der nicht unserem Bild der "typischen Deutschen" entspricht, erstmal aus Ausländer, bis man uns das Gegenteil beweist? Oder versuchen wir, diese Denkweise abzulegen, solange wir hier in unserem Heimatland sind, und gehen grundsätzlich mal davon aus, dass jeder Mensch, der uns begegnet, auch hier zu Hause sein könnte?

Wenn ich in Japan einem "japanisch aussehenden" Menschen begegne, liegt natürlich die Vermutung nahe, dass es sich um einen Japaner handelt. Wenn ich diesem Menschen im Ferienressort in Ägypten begegne, ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass es sich um einen Touristen handelt, der (schon statistisch) vermutlich aus Japan oder Amerika kommt. Wenn ich diesem Menschen aber stattdessen in einer Dortmunder Bibliothek oder am Schalter der Sparkasse, in der er arbeitet, begegne, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er ein Deutscher ist, halt schon nicht mehr so klein.

Du hast geschrieben:

Wenn ich jemenden treffe, der "japanisch" aussieht und der mir sagt, er sei Deutscher, dann kann ich sofort umschwenken. Dass ich aber zunächst nicht weiß, ob es sich um einen Deutschen handelt, kann er mir doch nicht vorwerfen.

In dieser Aussage sind zwei Dinge verborgen, die ich für wichtig halte:

1) Du sagst, du kannst sofort umschwenken, wenn ein "japanisch aussehender" Deutscher dir sagt, er sei Deutscher. Dabei frage ich mich, wie es sich für ihn wohl anfühlen wird, in seinem Heimatland immer (okay, oftmals) wieder darauf aufmerksam machen zu müssen, dass er kein "Fremder" sei. Insbesondere, da es Menschen [nicht du!] hier gibt, die ihn auch weiterhin als Fremden ansehen werden, nachdem sie von seiner Staatsangehörigkeit und seinen Deutschkenntnissen überrascht wurden.

2) Du sprichst von einem "Vorwurf", den man (hier: der "japanisch Aussehende") dir doch nicht machen könne. Das passt zu diesem Beitrag, der in dasselbe Verhalten "nichts Böses" hinein interpretieren mag. Darin steckt die in meinen Augen verkehrte Annahme, dass jedem Verhalten, das potenziell schädliche Folgen hat, auch eine schlechte Absicht innewohnen muss. Dabei ist das nicht so. Weiter oben habe ich diese Vorstellungen, wer "deutsch" ist oder nicht, als instinktiv bezeichnet, was ja bereits zum Ausdruck bringt, dass dahinter keine böswillige Absicht stecken muss. Von daher ist auch nicht jeder Hinweis, dass ein gewisses Verhalten schädlich sein kann, gleichzeitig ein Vorwurf oder die Unterstellung boshaften Denkens.

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In Diskussionen zu diesem Thema wird immer wieder argumentiert, dass es doch "menschlich" sei, Menschen erstmal anhand ihres Aussehens als "wahrscheinlich deutsch" oder "wahrscheinlich nicht deutsch" einzuschätzen und ihnen entsprechend zu begegnen. Dabei ist, was vermeintlich "menschlich" ist, nicht immer ein gutes Argument dafür, dass dieses Verhalten auch legitim ist. Viele womöglich menschliche Verhaltensweisen werden gesellschaftlich oder rechtlich sanktioniert.
Beispielsweise ist es vermutlich menschlich, dass ich trotz monogamer Beziehung auch manchmal andere Frauen attraktiv finde, und es wäre allzu menschlich, dieser Anziehung hin und wieder nachzugeben (ohnehin argumentieren Einige, der Mensch sei "von Natur aus" nicht zur Monogamie gemacht). Gesellschaftlich wird Fremdgehen bei uns aber weitgehend missbilligt, was sicher ein Hemmnis darstellt, diesem Trieb nachzugeben.
Genauso menschlich wäre es vermutlich, bei einem Streit dem Anderen mal kräftig eine zu zimmern. Auch das wird aber hier gesellschaftlich meistens nicht akzeptiert, und zudem stehen diesem Verhalten auch die Gesetze hier entgegen. Und die Allermeisten von uns schaffen es in den meisten Situationen, uns entsprechend zu beherrschen.

Wir sehen also zweierlei: Nicht alles, was "menschlich" ist, ist auch richtig so. Und die vielleicht "menschlichste" unserer Eigenschaften ist es, vermeintlich "menschlichen" Trieben nicht immer nachgeben zu müssen.


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