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TV-Tipp: ARD-23:30 Uhr: Gladbach in Tel Aviv-Freundschaftspiel 1970 (Fußball allgemein)

Will Kane, Saarbrücken, Montag, 17.02.2020, 14:25 (vor 1502 Tagen) @ Rupo

Unbedingt empfehlenswert.

Für jüdische Mitbürger war die Zeit Ende 69/Anfang 70 entsetzlich. In West-Berlin und München kam es zu Anschlägen, die sich gegen jüdische Einrichtungen und jüdische Mitbürger richteten und bei denen es in München Tote und Verletzte gab. 25 Jahre nach Ende der Nationalsozialistischen Diktatur wurden Juden in Deutschland wieder getötet, einfach weil sie Juden waren.

Am 09. November (das Datum war bewusst gewählt) 1969 wurde ein Bombenattentat auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin versucht, in dem eine größere Gedenkfeier stattfand. Das Attentat hätte viele Menschenleben gekostet. Es scheiterte, weil die Zündkapsel der im Gemeindehaus platzierten Bombe überaltert war und die ausgelöste Zündung somit nicht zur Explosion führte. Die Attentäter kamen aus dem Kreis der linksterroristischen ‚Tupamaros West-Berlin‘ (wahrscheinlich mit Unterstützung aus West-Deutschland). Federführend war der ausgewiesene Antisemit Dieter Kunzelmann (der nach dem Anschlag untertauchte), Mitbegründer der ‚Kommune I‘ und späterer Abgeordnete des Senats. Bei der Beschaffung der Bombe war auch ein V-Mann des Westberliner Verfassungsschutzes involviert, was (wie man nach der Wende erfuhr) auch der Stasi bekannt war. Möglicherweise war dies der Grund, warum die Berliner Staatsanwaltschaft keine Anklage erhob, obwohl den Ermittlungsbehörden die Hintergründe bekannt waren. Es hätte sich nicht sehr gut gemacht, wenn bei einer öffentlichen Verhandlung thematisiert worden wäre, dass ausgerechnet der deutsche Staat irgendwie in ein Attentat auf Juden in Deutschland verwickelt gewesen sei.

Am 10. Februar überfiel ein bewaffnetes palästinensisches Terrorkommando den Transitraum im Münchner Flughafen Riem, in dem sich die (israelischen) Passagiere und die Besatzung einer EL-AL - Maschine aufhielten, die auf dem Flug London-Tel Aviv in München einen Zwischenstopp eingelegt hatte. Die Passagiere sollten ins Flugzeug zurückgetrieben werden und die Maschine gekapert und entführt werden. Der Kapitän der Maschine wehrte sich und verwickelte die Attentäter in ein Handgemenge, was der Polizei Zeit zum Eingreifen gab. Er und eine Passagierin wurden dabei durch eine gezündete Handgranate schwer verletzt, ein anderer Passagier hatte sich auf eine weitere gezündete Handgranate geworfen, um andere Mitreisende im vollbesetzten Bus zu schützen und wurde dabei zerfetzt. Interessant auch hier die Reaktion der deutschen Behörden und der Bundesregierung. Obwohl geständig, wurde keine Anklage erhoben und die Attentäter nach ein paar Monaten nach Jordanien abgeschoben. Der Drahtzieher des Anschlags hatte sich bereits vorher dorthin abgesetzt. Eine Auslieferung wurde nie verlangt. Drei Tage später wurde eine weiteres palästinensisches Terrorkommando rechtzeitig gefasst, das erneut ein Flugzeug in München-Riem entführen wollte. Auch hier wieder keine Anklage, sondern Abschiebung.

Am 13. Februar 1970 (der 50. Jahrestag ist also gerade gewesen) wurde ein Brandanschlag auf das Altersheim des Israelitischen Kultuszentrums München und Oberbayern in München verübt. Der oder die Attentäter war/en in das frei zugängliche Gebäude gegangen und hatte/n das gesamte Treppenhaus mit Benzin getränkt, entzündet und war/en anschließend wieder verschwunden. Die Bewohner und Gäste in den oberen Stockwerken hatten keine Chance. Sieben Menschen starben, davon zwei, welche die Todeslager der SS überlebt hatten. Ein Opfer stürzte in den Tod bei dem Vesuch, sich durch einen Sprung aus dem vierten Stock vor dem Feuer zu retten. Die anderen sechs erstickten oder verbrannten bei lebendigem Leib. Aus dem Haus drangen Schreie nach außen, man werde verbrannt und vergast. 25 Jahre nach dem Holocaust. Die nervös gewordene Bundesregierung drängte die Behörden auf Ermittlungen in alle Richtungen. Die palästinensische, rechtsradikale und linksradikale Szene wurde gefilzt, aber letztlich verliefen die Ermittlungen im Sande. Gegen einen Mann mit engen Verbindungen in die linksradikale Szene gab es starke Indizien, aber letztlich keine gerichstfesten Beweise. Neuere Untersuchungen auch der Staatsanwaltschaft bestätigten die Indizien in Richtung linksterroristischer Attentäter, gerichtsfeste Beweise ergaben sich aber nicht. Der damalige Hauptverdächtige ist inzwischen verstorben.

Ein knappe Woche nach diesem Attentat explodierte eine Zeitzünderbombe in einem Flugzeug der Swissair auf dem Flug von Zürich nach Tel Aviv, die ein palästinensisches Terrorkommando an Bord geschmuggelt hatte. An Bord waren viele Israelis. Sämtliche 47 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden getötet. Die Bombe wurde über den Flughafen Frankfurt an Bord geschmuggelt.

Wer nicht betroffen war oder ist, kann wahrscheinlich nicht nachempfinden, wie sich Juden in Deutschland in dieser Zeit gefühlt haben. Und wie die Situation in Israel aufgenommen wurde, in dem Attentate und Attentatsversuche damals fast an der Tagesordnung waren und in dem viele Holocaustüberlebende lebten, die viele oder alle Angehörigen in den Todeslagern verloren hatten. Aber es gab damals durchaus eine ganze Reihe von nichtjüdischen Deutschen, die ihre Solidarität und ihr Bestreben um Aussöhnung nicht auf Lippenbekenntnisse beschränken wollten. Hennes Weisweiler gehörte dazu.


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