Favre vor Verlängerung (BVB)

Will Kane, Saarbrücken, Freitag, 26.04.2019, 11:56 (vor 1820 Tagen) @ Ulrich

Wir spielen aktuell die beste Saison seit Jahren, und trotzdem schlägt Favre teilweise Feindseligkeit entgegen. Das ist das, was ich nicht verstehen kann.

Das liegt in der menschlichen Natur und hat mit der Person Lucien Favre zunächst einmal nichts zu tun. Wir sind nun einmal trieb- und emotionsgesteuerter, als wir uns das zumeist eingestehen wollen. Wenn man darum weiß, dann kann uns der Verstand zu einer (selbst)kritischen Reflexion bewegen, die mal mehr, mal weniger gelingt. Aber nicht nur im Fußball ist es mit dem Verstand und der kritischen Reflexion nicht immer so weit her wie wir es uns selbst vormachen. Was Tür und Tor für Manipulationen öffnet. Wir manipulieren ständig und werden ständig manipuliert. Politiker werden nicht gewählt, weil sie die vernünftigeren Argumente haben, sondern weil sie die Emotionen einer Mehrheit besser bedienen. Am deutlichsten wird an Religionen, wo es ohnehin nicht um ‚Wissen‘, sondern um ‚Glauben‘ geht.

Emotionen führen zu dem, was man gemeinhin ‚Schubladendenken‘ nennt. Dieses Kategorisieren vollführen wir ständig, kein einziger Mensch tut dies nicht. Wahrscheinlich benötigen wir diese Schubladen in unseren Denk- und Gefühlsmustern auch, um überhaupt in unserer wie auch immer gearteten Umwelt klarzukommen. Wichtig ist dabei nur, sich dessen immer wieder bewusst zu werden, um gegebenenfalls die Schubladen neu sortieren zu können. Das gelingt manchmal, meistens jedoch nicht.

Der Wahrnehmung des Fußballtrainers Favre durch die Anhänger des BVB ist da nur ein austauschbares Beispiel. Die allerwenigsten von uns dürften ihm schon einmal persönlich begegnet sein und vermutlich niemand hier kann von sich behaupten, Favre persönlich näher zu kennen. Alles, was wir von ihm vor seinem Amtsantritt bei uns ‚gewusst‘ haben, war mehr oder weniger durch Medien ‚vermittelt’ und von dem mitbestimmt, was man von Spielen seiner früheren Teams selbst noch so im Kopf hatte. Wobei gerade letzteres wohl bei niemandem hier zu einem fundierten Urteil führen konnte, denn wieviele Spiele in voller Länge über die verschiedenen Spielzeiten und Saisonphasen hinweg hat der einzelne User hier denn schon von Favres diversen Clubs wirklich gesehen, um unter dem Versuch einer Ausblendung emotionaler Aspekte zu einer einigermaßen analytisch-sachlichen Bewertung kommen zu können? Sicherlich gibt es zahlreiche Statistiken, die man im Fußball verwendet. Doch jede dieser Statistiken ist interpretationsfähig und oft genug auch interpretationsbedürftig. Und Interpretationen haben mehr mit Meinungen zu tun als mit mit Tatsachen.

Als Favre hierherkam, gab es unter den Fans befürwortende Stimmen (zu denen ich mich z.B. zähle), ablehnende Haltungen und indifferente (wenn auch fast durchweg mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Skepsis durchzogene) Äußerungen. Ich bin mir sicher, dass diese ‚Grundhaltungen‘ auch über die gesamte bisherige Saison gesehen die Meinungsäußerungen hier bestimmt haben und weiter bestimmen. Die ‚Ablehner‘ nutzen jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler, um im ‚Ich-habe-es-von-Anfang-an-gesagt‘-Duktus die Ablösung Favres zu fordern. Die ‚Befürworter‘ neigen dazu, das Positive zu betonen und tatsächliche Fehler zu relativieren. Und die ‚Indifferenten‘ schwanken je nach Spielverlauf und -ergebnis in ihrer Tendenz.

‚Völlisch nomaal‘ würde man in Kölle dazusagen.

Und denen, die jetzt gegen eine Vertragsverlängerung stänkern dürfte es in der Regel nicht um den Zeitpunkt gehen. Die wollen Favre loswerden.

Oder wollten ihn von Anfang an halt nicht hier als Trainer. Zumindest bei einigen dürfte dies mMn so sein. Gründe gegen eine Vertragsverlängerung wird man immer finden können, unabhängig von deren Stichhaltigkeit. Selbst wenn wir doch noch Meister werden sollten.

Im übrigen bin ich der Überzeugung, dass ein Trainerengagement einen Zeitraum von drei bis maximal fünf Jahren nicht überschreiten sollte, je nach Entwicklungsstand des Teams bei Übernahme der Tätigkeit und Zielsetzung des Clubs. Abnutzungen in jedem Bereich sind normal und irgendwann ist der Punkt erreicht, wo man eher in eine Sackgasse zu geraten droht, alsdass es auf der Autobahn mit freier Fahrt weiterginge. Die Kunst ist nur, diesen Zeitpunkt rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig richtig zu handeln.